Anwaltskanzlei Matthias F. Uhler
Lohn und Gehalt

Lohn und Gehalt

Schadensersatz wegen unterbliebener Zielvereinbarung(en)

 

Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG:

  1. Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine erfolgsabhängige, von erreichten Zielen abhängige variable Vergütung zugesagt, ist zwischen Zielvereinbarungen und Zielvorgaben zu unterscheiden. Bei Zielvereinbarungen werden die Ziele, von deren Erreichen die variable Vergütung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festgelegt. Demgegenüber werden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315I BGB eingeräumt ist. Ob das eine oder das andere gewollt ist, ist durch Auslegung der vertraglichen Abrede zu ermitteln (Rn. 37, 38).
  2. Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, für eine Zielperiode gemeinsam mit dem Arbeitnehmer Ziele festzulegen, kann dies nach Ablauf der Zielperiode einen Schadensersatzanspruch nach § 280IIII BGB iVm § 283 S. 1 BGB auslösen. Eine Festlegung von Zielen für eine vergangene Zielperiode ist nicht mehr möglich, es tritt Unmöglichkeit im Sinne von § 275 I BGB ein (Rn. 44, 45, 46).
  3. Sofern ein Arbeitgeber schuldhaft kein Gespräch mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung geführt hat, ist die bei Zielerreichung zugesagte variable Vergütung für eine abstrakte Schadensberechnung nach § 252S. 2 BGB Grundlage zur Ermittlung des durch den Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu ersetzenden Schadens (Rn. 52).
  4. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte. Soweit besondere Umstände diese Annahme ausschließen, obliegt es dem Arbeitgeber, diese darzutun und gegebenenfalls zu beweisen (Rn. 53).
  5. Bei Zielvereinbarungen ist – anders als bei Zielvorgaben – die Festlegung der Ziele nicht allein Aufgabe des Arbeitgebers. Vielmehr bedarf es der Mitwirkung des Arbeitnehmers. Sofern allein aus dem Verschulden des Arbeitnehmers eine Zielvereinbarung nicht zustande gekommen ist, verletzt dieser eine vertragliche Nebenpflicht und hat weder einen Anspruch auf die variable Vergütung noch einen entsprechenden Schadensersatzanspruch (Rn. 59).
  6. Haben die Vertragsparteien keine alleinige Pflicht des Arbeitgebers vereinbart, die Verhandlungen über die Zielvereinbarung einzuleiten, bedeutet dies bei einer nicht zustande gekommenen Zielvereinbarung nicht stets, dass nur der Arbeitgeber die Initiative zu ergreifen und ein Gespräch mit dem Arbeitnehmer über mögliche Ziele und deren Gewichtung anzuberaumen hat. Unter solchen Umständen muss auch der Arbeitnehmer tätig werden. Dabei reicht es allerdings aus, wenn er den Arbeitgeber zu Verhandlungen über die Zielvereinbarung auffordert (Rn. 61).
  7. Kommt eine Zielvereinbarung aus Gründen nicht zustande, die sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer zu vertreten haben, ist das Mitverschulden des Arbeitnehmers nach § 254BGB angemessen zu berücksichtigen (Rn. 62).

BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 149/20 (LAG Hessen, Urt. v. 22.11.2019 – 14 Sa 1378/18)

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kl. von der Bekl. Schadensersatz wegen entgangener variabler Vergütung (Bonuszahlung) verlangen kann.

Die Bekl., die ihren Sitz am Flughafen F. hat, ist im internationalen Luftfrachtgeschäft tätig. Der Kl. war bei der Bekl. vom 1.3.2016 bis zum 31.5.2017 als „Head of Operations“ beschäftigt. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 1.3.2016 heißt es auszugsweise:

§ 2. Probezeit/Beendigung des Arbeitsverhältnisses/Freistellung. Die ersten 6 (in Worten: sechs) Monate des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit.

  • 4. Vergütung. Die monatliche Bruttovergütung beträgt 7000 Euro (in Worten: siebentausend Euro).

Zulagen, die zusätzlich zum monatlichen laufenden Entgelt gewährt werden, können bei Vorliegen eines sachlichen Grundes zB, wirtschaftliche Gründe, Gründe im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers oder im Rahmen einer Umstrukturierung widerrufen werden.

Die Zahlung von etwaigen Sondervergütungen erfolgt in jedem Einzelfall freiwillig und auch bei wiederholter Gewährung ohne Begründung eines Rechtsanspruchs für die Zukunft.

  • 5. Bonusregelung. Der Mitarbeiter kann nach Ablauf der Probezeit zusätzlich zu seiner vorgenannten Vergütung eine erfolgsabhängige variable Vergütung (Bonus) abhängig von seiner Leistung und der Geschäftsentwicklung des Arbeitgebers in Höhe von bis zu 25 % (in Worten: fünfundzwanzig Prozent) seines vereinbarten Bruttojahresgehaltes erhalten. Die Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung (Bonus) wird gesondert geregelt.

  • 17. Ausschlussfristen. Alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit diesem in Verbindung stehen, sind innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind verfallen.

Lehnt die andere Vertragspartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb eines Monats nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt der Anspruch, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt auch für Zahlungsansprüche, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden oder von dessen Ausgang abhängen.

Der Ausschluss nach den vorstehenden Ziffern gilt nicht, soweit ein Anspruch aus der Haftung wegen Vorsatz beruht.

…“

Im Rahmen des Bewertungssystems „C Success“ forderte die Bekl. den Kl. mit E-Mail vom 25.2.2017 auf, an der „2016 Year-End Performance Evaluation“ teilzunehmen und die zugesandten englischsprachigen Formulare „Performance Evaluation Competency Form“ und „Functional Objectives_P2 for D K“ ausgefüllt zurückzusenden. Der Kl. kam dieser Aufforderung mit E-Mail vom 27.2.2017 nach.

Nachdem der Kl. gegenüber der Bekl. mit Schreiben vom 19.12.2017 erfolglos eine Schadensersatzforderung iHv 21.000 Euro geltend gemacht hatte, hat er die Bekl. mit seiner am 7.3.2018 beim ArbG eingegangenen Klage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von jeweils 21.000 Euro für die Jahre 2016 und 2017, mithin in Höhe von insgesamt 42.000 Euro in Anspruch genommen.

Der Kl. hat die Auffassung vertreten, die Bekl. sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie es entgegen § 5 des Arbeitsvertrags unterlassen habe, mit ihm für die Jahre 2016 und 2017 Zielvereinbarungen abzuschließen. Wären solche Vereinbarungen zustande gekommen, hätte er die vereinbarten Ziele erreicht und jeweils Anspruch auf den vollen Bonus gehabt. Die ihm von der Bekl. mit E-Mail vom 25.2.2017 übersandten Formulare könnten nicht als Zielvereinbarung für das Jahr 2016 verstanden werden.

Die Bekl. hat die Auffassung vertreten, dem Kl. keinen Schadensersatz zu schulden. Sie sei nach § 5 des Arbeitsvertrags schon nicht verpflichtet gewesen, mit dem Kl. Zielvereinbarungen abzuschließen. Sollte dennoch eine solche Verpflichtung bestanden haben, sei zu berücksichtigen, dass mit den dem Kl. im Rahmen des Bewertungssystems „C Success“ im Februar 2017 übersandten und von diesem ausgefüllten Formularen Ziele für das Kalenderjahr 2016 vereinbart worden seien und der Kl. die dort aufgeführten Ziele nicht erreicht habe, weshalb eine Bonuszahlung für das Kalenderjahr 2016 ausscheide. Für das Jahr 2017 könne wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31.5.2017 allenfalls ein anteiliger Anspruch bestehen. Einer Bonuszahlung für die Kalenderjahre 2016 und 2017 stehe darüber hinaus eine außergewöhnlich negative Geschäftsentwicklung in diesen Jahren entgegen.

Das ArbG Frankfurt a. M. (Urt. v. 23.8.2018 – 20 Ca 1615/18) hat der Klage – unter Klageabweisung im Übrigen – iHv 15.750 Euro (brutto) nebst Zinsen stattgegeben, wobei es dem Kl. für das Jahr 2016, und zwar anteilig für die Monate September bis Dezember 2016, einen Betrag iHv 7.000 Euro und für das Jahr 2017, und zwar anteilig für die Monate Januar bis Mai 2017, einen Betrag iHv 8.750 Euro zugesprochen hat. Auf die Berufung der Bekl. hat das LAG Hessen (Urt. v. 22.11.2019 – 14 Sa 1378/18, BeckRS 2019, 45019) das arbeitsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage vollständig abgewiesen. Das Rechtsmittel des Kl. hat im Wesentlichen Erfolg.

Aus den Gründen:

10A. Mit dem Einverständnis der Parteien konnte vorliegend im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 128 II ZPO.

11B. Die zulässige Revision des Kl. ist im Wesentlichen begründet. Entgegen der Annahme des LAG hat der Kl. gegen die Bekl. einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz wegen ihm in den Kalenderjahren 2016 und 2017 entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung (Bonus). Der Höhe nach beläuft sich der Anspruch – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils des Kl. von 10 % – auf 14.175 Euro.

12I. Die gebotene Auslegung des Revisionsantrags des Kl. ergibt, dass dieser das Urteil des LAG mit der Revision nur insoweit angreift, als das LAG das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der Bekl. teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen hat. Damit begehrt er mit der Revision ausschließlich die Zahlung von Schadensersatz für das Jahr 2016 iHv 7.000 Euro und für das Jahr 2017 iHv 8.750 Euro, mithin insgesamt iHv 15.750 Euro.

  1. 13 Der Revisionsantrag des Kl. bedarf der Auslegung.

14Zwar hat der Kl. mit dem in der Revisionsbegründungsschrift formulierten Revisionsantrag lediglich beantragt, das Urteil des LAG abzuändern (gemeint ist: aufzuheben) und die Berufung der Bekl. gegen das arbeitsgerichtliche Urteil zurückzuweisen. Seine Anschlussberufung ist in diesem Antrag nicht erwähnt. Danach hätte der Kl. gegen das Urteil des LAG nur insoweit Revision eingelegt, als das LAG über die Berufung der Bekl. erkannt hat.

15Allerdings heißt es eingangs der Revisionsbegründung, dass das Urteil des LAG „voll umfänglich zur Überprüfung durch das RevGer. gestellt“ wird. Zudem hat der Kl. an anderer Stelle der Revisionsbegründung ausgeführt, dass die Bekl. verpflichtet sei, an ihn „die maximal erzielbare erfolgsabhängige Vergütung iHv 25 % seines Grundgehalts, vorliegend iHv 21.000 (brutto) jährlich als Schadensersatz“ zu zahlen. Diese Formulierungen könnten dafür sprechen, dass der Kl. mit der Revision zudem die Entscheidung des LAG über seine Anschlussberufung anficht.

  1. 16 Das RevGer. hat prozessuale Erklärungen selbstständig auszulegen. Maßgebend sind die für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze. Entsprechend § 133BGB ist nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, vielmehr ist der in der Erklärung verkörperte Wille zu ermitteln. Im Zweifel sind prozessuale Erklärungen so auszulegen, dass das gewollt ist, was aus Sicht der Prozesspartei nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Dabei sind die schutzwürdigen Belange des Prozessgegners zu berücksichtigen (vgl. etwa BAGv. 15.9.2016 – 8 AZR 351/15, ArbRAktuell 2017, 117 Rn. 20 mwN).
  2. 17 Danach ergibt die Auslegung des Revisionsantrags, dass der Kl. mit der Revision ausschließlich die Wiederherstellung des Urteils des ArbGund damit die Zahlung von Schadensersatz für das Jahr 2016 iHv 7.000 Euro und für das Jahr 2017 iHv 8.750 Euro, mithin insgesamt iHv 15.750 Euro begehrt und sich nicht gegen die Zurückweisung seiner Anschlussberufung durch das LAGwendet. Nur diese Auslegung ist aus Sicht des Kl. nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig und entspricht seiner wohlverstandenen Interessenlage.

18a) Das LAG hat die Revision in der angefochtenen Entscheidung nur im Hinblick auf die Berufungsstattgabe zugelassen. Diese Beschränkung der Revisionszulassung ist auch nicht wirkungslos. Das LAG durfte die Zulassung der Revision – wie geschehen – beschränken.

19aa) Zwar kann die Zulassung der Revision nicht auf einzelne Rechtsfragen oder Anspruchselemente beschränkt werden; sie kann aber grundsätzlich auf einen tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden (vgl. etwa BAG v. 28.5.2019 – 8 AZN 268/19BAGE 167, 32 = NZA 2019, 1311 Rn. 5; v. 15.1.2015 – 5 AZN 798/14BAGE 150, 279 = NJOZ 2015, 623 Rn. 5), der Gegenstand eines selbstständig anfechtbaren Teil- oder Zwischenurteils sein (vgl. etwa BAG v. 28.5.2014 – 10 AZB 20/14, NZA-RR 2014, 445 Rn. 8; v. 24.9.1986 – 7 AZR 669/84BAGE 53, 105 = NZA 1987, 106 [zu I 2 a]; v. 28.5.1986 – 7 AZR 581/84BAGE 52, 122 = NZA 1986, 820 [zu I 1]; BGH v. 12.2.2019 – VI ZR 141/18, NJW 2019, 2538 = DAR 2019, 257 = NJW-Spezial 2019, 297 = NZV 2019, 524 = VersR 2019, 564 Rn. 12; v. 10.10.2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 = NZBau 2018, 98 = NZM 2018, 243 Rn. 8 = DS 2018, 40 Ls.; v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, NJW-RR 2017, 1516 = GRUR 2017, 850 = VersR 2017, 959 = ZUM-RD 2017, 429 Rn. 15; v. 27.10.2015 – VI ZR 100/14, BeckRS 2015, 20073 Rn. 19; v. 30.3.2007 – V ZR 179/06, NJW 2007, 2182 = NZM 2007, 537 = VersR 2007, 1230 = WM 2007, 1942 Rn. 6) oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte (vgl. BGH v. 25.6.2019 – I ZR 91/18, BeckRS 2019, 16200 Rn. 7; v. 12.2.2019 – VI ZR 141/18, NJW 2019, 2538 = DAR 2019, 257 = NJW-Spezial 2019, 297 = NZV 2019, 524 = VersR 2019, 564 = VuR 2019, 276 Ls.; v. 10.10.2017 – VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 = NZBau 2018, 98 = NZM 2018, 243 = DS 2018, 40 Ls. = VersR 2018, 441 Ls.; v. 2.5.2017 – VI ZR 262/16, NJW-RR 2017, 1516 = GRUR 2017, 850 = VersR 2017, 959 = ZUM-RD 2017, 429; v. 5.4.2016 – XI ZR 428/15, BeckRS 2016, 7598 Rn. 4; v. 27.10.2015 – VI ZR 100/14, BeckRS 2015, 20073; v. 30.3.2007 – V ZR 179/06, NJW 2007, 2182 = NZM 2007, 537 = VersR 2007, 1230 = WM 2007, 1942). Letzteres setzt eine Selbstständigkeit des von der Zulassungsbeschränkung erfassten Teils des Streitstoffs in dem Sinne voraus, dass dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Fall einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum unanfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann. Es muss sich hierbei weder um einen eigenen Streitgegenstand handeln, noch muss der betroffene Teil des Streitstoffs auf der Ebene der Berufungsinstanz teilurteilsfähig sein (vgl. etwa BGH v. 25.6.2019 – I ZR 91/18, BeckRS 2019, 16200; v. 22.10.2013 – XI ZR 42/12BGHZ 198, 294 = NJW 2014, 314 = BKR 2014, 165 = EWiR 2014, 163 = GWR 2013, 519 = NZG 2014, 103 = VersR 2014, 1516 = VuR 2014, 55 = WM 2013, 2216 = ZIP 2013, 2281 Rn. 27; v. 16.10.2012 – XI ZR 368/11, GWR 2012, 564 Rn. 18; v. 16.12.2010 – III ZR 127/10, WM 2011, 526 Rn. 5).

20bb) Danach ist die vom LAG vorgenommene Beschränkung der Revisionszulassung wirksam. Die Selbstständigkeit des von der Zulassungsbeschränkung erfassten Teils des Streitstoffs ist gegeben. Dieser Teil kann aufgrund der vom LAG gegebenen zweiten Begründung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden; auch kann im Fall einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum unanfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten.

21Das LAG hat für die Zurückweisung der Anschlussberufung des Kl. eine Doppelbegründung gegeben. Es hat seine Entscheidung insoweit zum einen – tragend – damit begründet, dass dem Kl. ein Schadensersatzanspruch gegen die Bekl. wegen unterbliebener Zielvereinbarung, unterbliebener Zielvorgabe und unterbliebener näherer Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung nach § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags schon dem Grunde nach nicht zustehe (erste Begründung). Zum anderen hat es seine Entscheidung über die Anschlussberufung des Kl. – gleichermaßen tragend – darauf gestützt, dass ein Schadensersatzanspruch angesichts der Dauer der Tätigkeit des Kl. für die Bekl. abzüglich der Probezeit nur anteilig bestehen könne, nämlich für das Jahr 2016 maximal iHv 7.000 Euro und für das Jahr 2017 maximal iHv 8.750 Euro (zweite Begründung).

22b) Danach ist der Revisionsantrag dahin auszulegen, dass der Kl. mit der Revision ausschließlich die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils, also die Zahlung von Schadensersatz für das Jahr 2016 iHv 7.000 Euro und für das Jahr 2017 iHv 8.750 Euro, mithin insgesamt iHv 15.750 Euro begehrt und nicht außerdem die Entscheidung des LAG über seine Anschlussberufung anficht. Bei einer Auslegung des Revisionsantrags dahin, dass die Revision unbeschränkt eingelegt wurde, müsste die Revision nämlich, da der Kl. gegen die Nichtzulassung der Revision gegen die Entscheidung des LAG über seine Anschlussberufung keine (erfolgreiche) Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat, insoweit als unzulässig verworfen werden. Ein solches Ergebnis wäre weder aus Sicht des Kl. nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig noch würde es seiner wohlverstandenen Interessenlage entsprechen.

23II. Die Revision ist in der gebotenen Auslegung des Revisionsantrags zulässig, insbesondere wurde sie entgegen der Rechtsauffassung der Bekl. innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründet.

  1. 24 Nach § 72VArbGG iVm § 551 III 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des LAG so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung und die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. etwa BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18BAGE 166, 54 = NZA 2019, 1279 Rn. 14 mwN). Die bloße Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung hingegen nicht (stRspr, BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18BAGE 165, 255 = NZA-RR 2019, 456 Rn. 13; v. 6.7.2016 – 4 AZR 966/13, BeckRS 2016, 74818 Rn. 16).
  2. 25 Danach ist die Revision des Kl. ausreichend iSv § 72VArbGG iVm § 551 III 1 Nr. 2 ZPO begründet.

26a) Das LAG hat angenommen, der Kl. habe keinen Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 IIII BGB iVm §§ 283 S. 1, 252 BGB. Aus der Bonusregelung in § 5 des Arbeitsvertrags der Parteien ergebe sich weder eine Verpflichtung der Bekl. zum Abschluss einer Zielvereinbarung noch eine Verpflichtung, dem Kl. einseitige Zielvorgaben zu setzen. Ein Anspruch auf Schadensersatz bestehe auch nicht deshalb, weil die Bekl. die in § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags vorgesehenen Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung (Bonus) nicht gesondert vorgenommen habe. Die Bekl. sei vielmehr nach wie vor verpflichtet, das ihr nach § 5 des Arbeitsvertrags zustehende Leistungsbestimmungsrecht iSv § 315 I BGB auszuüben. Insoweit habe der Kl. nach wie vor einen der Annahme eines Schadensersatzanspruchs entgegenstehenden Erfüllungsanspruch, welcher allerdings nicht Streitgegenstand geworden sei.

27b) Der Kl. hat demgegenüber gerügt, das LAG habe § 5 des Arbeitsvertrags fehlerhaft ausgelegt. Die zutreffende Auslegung dieser Bestimmung unter Berücksichtigung der von den Parteien verfolgten Zwecke und der von beiden Parteien erkannten Interessenlage, wozu der Kl. nähere Ausführungen macht, ergebe, dass sich die Bekl. dazu verpflichtet habe, mit ihm eine Zielvereinbarung abzuschließen. Da sie dies unterlassen habe, sei sie ihm zum Schadensersatz verpflichtet. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der Bekl. lasse sich aus § 5 des Arbeitsvertrags demgegenüber nicht ableiten. Mit diesen Ausführungen hat sich der Kl. mit den tragenden Argumenten des BerGer. hinreichend auseinandergesetzt und die Gesichtspunkte dargetan, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll.

28III. Die Revision des Kl. ist im Wesentlichen begründet. Der Kl. hat gegen die Bekl. wegen nicht abgeschlossener Zielvereinbarung(en) Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 IIII BGB iVm §§ 283 S. 1, 252 BGB. Der Höhe nach beläuft sich der Anspruch – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils des Kl. von 10 % – auf 14.175 Euro.

  1. 29 Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, kann der Gläubiger nach § 280I1 BGB Ersatz des hieraus entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nach § 280 I 2 BGB nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Nach § 280 III BGB kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung allerdings nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 BGB, des § 282 BGB oder des § 283 BGB verlangen. Insoweit bestimmt § 283 S. 1 BGB, dass der Gläubiger, sofern der Schuldner nach § 275 I bis III BGB nicht zu leisten braucht, unter den Voraussetzungen des § 280 I BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann.
  2. 30 Die Bekl. hat ihre nach § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags vom 1.3.2016 bestehende Pflicht verletzt, mit dem Kl. für die Jahre 2016 und 2017 eine Zielvereinbarung bzw. jährliche Zielvereinbarungen abzuschließen.

31a) Die Bekl. war nach § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags verpflichtet, mit dem Kl. eine bzw. jährliche Zielvereinbarung(en) abzuschließen. Dies ergibt eine Auslegung von § 5 des Arbeitsvertrags nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen.

32aa) Nach den Feststellungen des LAG handelt es sich bei dem Arbeitsvertrag vom 1.3.2016 um einen Formularvertrag iSv § 305 I 1 BGB, der deshalb nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen auszulegen ist. Darüber streiten die Parteien auch nicht.

33bb) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind (vgl. etwa BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18BAGE 166, 54 = NZA 2019, 1279 Rn. 55; v. 23.11.2017 – 8 AZR 372/16, NZA-RR 2018, 287 Rn. 26 mwN). Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist (vgl. etwa BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 44/19, NZA-RR 2020, 388 Rn. 15 mwN). Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen obliegt auch dem RevGer. (etwa BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 753/14, NZA 2016, 1271 Rn. 30 mwN).

34cc) Die Auslegung von § 5 des Arbeitsvertrags nach diesen Grundsätzen ergibt, dass die Bekl. dem Kl. nach Ablauf der in § 2 des Arbeitsvertrags bestimmten Probezeit von sechs Monaten zusätzlich zu der in § 4 des Arbeitsvertrags geregelten monatlichen Vergütung eine kalenderjährliche erfolgsabhängige variable Vergütung (Bonus) schuldete (§ 5 S. 1 des Arbeitsvertrags), wobei die Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung dieser Vergütung von den Parteien im Wege einer Zielvereinbarung bzw. jährlicher Zielvereinbarungen zu treffen waren (§ 5 S. 2 des Arbeitsvertrags).

35(1) Die Bekl. hatte dem Kl. in § 5 S. 1 des Arbeitsvertrags für die Zeit nach Ablauf der Probezeit zusätzlich zu seiner in § 4 des Arbeitsvertrags geregelten Vergütung die Zahlung einer erfolgsabhängigen variablen Vergütung (Bonus) abhängig von seiner Leistung und der Geschäftsentwicklung der Bekl. in Höhe von bis zu 25 % seines vereinbarten Bruttojahresgehalts zugesagt. Dabei ergibt sich aus der Anknüpfung an das vereinbarte Bruttojahresgehalt und an die Geschäftsentwicklung der Bekl., dass die Bonuszahlung kalenderjährlich geschuldet war. Anhaltspunkte dafür, dass das Geschäfts- bzw. Wirtschaftsjahr der Bekl. nicht mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, finden sich im Arbeitsvertrag der Parteien vom 1.3.2016 nicht.

36(2) Die Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung waren nach § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags nicht einseitig von der Bekl. im Wege von Zielvorgaben, sondern von den Parteien im Wege einer Zielvereinbarung bzw. jährlicher Zielvereinbarungen zu treffen.

37(a) Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen werden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSd § 315 I BGB eingeräumt wird (vgl. etwa BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 16 mwN).

38(b) Für eine Auslegung von § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags dahin, dass die Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung im Wege einer bzw. jährlicher zwischen den Parteien abzuschließenden Zielvereinbarung(en) zu treffen waren, spricht bereits der Wortlaut der Klausel, in der es heißt: „Die Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung (Bonus) wird gesondert geregelt“. Danach wurde nicht vereinbart, dass ausschließlich die Bekl. die Bestimmungen trifft oder einseitig vorgibt. Eine dahingehende ausdrückliche Regelung haben die Parteien nicht getroffen. Ein solches Verständnis ergibt sich auch nicht durch Auslegung der in § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags gewählten Formulierungen. So wurde der offene Begriff „Bestimmungen“ verwendet und nicht etwa ein Begriff wie „Vorgaben“, der deutlich machen würde, dass nur der Arbeitgeber als Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Urheber weiterer Regelungen infrage käme. Auch die Formulierung „gesondert geregelt“ im Rahmen dieser vertraglichen Vereinbarung kann nur so verstanden werden, dass die zukünftige „gesonderte Regelung“ eine Regelung außerhalb der Vertragsurkunde und damit ebenfalls eine vertragliche Vereinbarung der Parteien sein sollte. Dass es in § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags heißt, dass die Bestimmungen … gesondert geregelt „wird“, führt zu keiner anderen Beurteilung. Dass – obgleich Bezugspunkt der Regelung „Bestimmungen“ sind – beim Prädikat nicht der Plural, sondern der Singular verwendet wurde, dürfte schlicht auf einem Versehen beruhen.

39(c) Auch unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise kann § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags von verständigen und redlichen Vertragspartnern nur so verstanden werden, dass die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung (Bonus) nicht im Wege einseitiger Zielvorgaben durch die Bekl., sondern im Wege einer bzw. jährlicher Zielvereinbarung(en) der Parteien geregelt werden sollten.

40(aa) In § 5 S. 1 des Arbeitsvertrags der Parteien ist nur bestimmt, dass die Bonuszahlung abhängig von der Leistung des Mitarbeiters und der Geschäftsentwicklung der Bekl. ist. Eine nähere Konkretisierung und Gewichtung von insoweit zu erreichenden Zielen enthält die Bestimmung nicht. Infolgedessen ist für die in § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags zu treffende „Regelung“ ein weiter Rahmen vorgegeben, der angesichts der Vielzahl und der unterschiedlichen Gewichtung von insoweit möglichen Zielen erhebliche Gestaltungsspielräume eröffnet. So könnte für die Geschäftsentwicklung der Bekl. der Umsatz oder der Gewinn maßgeblich sein. Im Hinblick auf die „Leistung“ des Mitarbeiters ist völlig offen, an welche Leistungskriterien im Einzelnen die Bonuszahlung geknüpft ist. Hier sind völlig unterschiedliche, vom Mitarbeiter zu erreichende Ziele denkbar. So kann für die Zielerreichung der Erfolg einer speziellen Abteilung oder einer „Gruppe“ maßgebend sein; auch völlig unterschiedliche persönliche Ziele, die auf die individuelle Leistung des Mitarbeiters abstellen, sind denkbar (vgl. BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 26). Für beide Parameter – „Leistung“ des Mitarbeiters und „Geschäftsentwicklung“ der Bekl. – ist zudem nicht bestimmt, bei welchem Grad der Zielerreichung ein Bonus in welcher Höhe geschuldet ist.

41(bb) Vor dem Hintergrund dieses durch § 5 S. 1 des Arbeitsvertrags eröffneten weitreichenden Gestaltungsspielraums bei der nach § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags zu treffenden Bestimmung und Gewichtung der Ziele und unter Berücksichtigung des Umstands, dass der nach § 5 S. 1 des Arbeitsvertrags geschuldete Bonus eine zusätzliche Vergütung ist, die der Leistungssteigerung und Mitarbeitermotivation, nämlich als Anreiz zur Zielerreichung dient (vgl. etwa BAG v. 10.12.2008 – 10 AZR 889/07, NZA 2009, 256 Rn. 15; v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 25), kann nicht angenommen werden, dass die noch erforderliche Konkretisierung und Gewichtung der im Hinblick auf die Kriterien „Leistung“ und „Geschäftsentwicklung“ konkret zu erreichenden Ziele durch einseitige, in das Ermessen der Bekl. gestellte Vorgaben erfolgen sollte. Vielmehr spricht, da typischerweise beide Seiten ein Interesse daran haben, dass angemessene und vom Mitarbeiter erreichbare Ziele formuliert werden, alles dafür, dass ein durchschnittlicher Vertragspartner der Bekl. in der Funktion des Kl., der als „Head of Operations“ mit der Leitung des Geschäftsbetriebs betraut ist, die in § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags getroffene Bestimmung dahin verstehen musste, dass die Ziele und deren Gewichtung von den Vertragspartnern vereinbart werden. Dies gilt umso mehr, als die vom Mitarbeiter nach § 5 S. 1 des Arbeitsvertrags maximal erreichbare variable Vergütung 25 % seines vereinbarten Bruttojahresgehalts beträgt und damit eine der Höhe nach bedeutende Entgeltkomponente darstellt.

42b) Die Bekl. hat ihre Pflicht aus § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags vom 1.3.2016, mit dem Kl. für die Jahre 2016 und 2017 eine Zielvereinbarung bzw. jährliche Zielvereinbarungen abzuschließen, verletzt. Denn bis zum Ablauf der hier jeweils maßgeblichen Zielperioden, nämlich bis zum Ablauf der Kalenderjahre 2016 und 2017, ist keine Zielvereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien zustande gekommen, die es dem Kl. ermöglicht hätte, bei Erfüllung der Voraussetzungen die in § 5 S. 1 des Arbeitsvertrags bestimmte erfolgsabhängige variable Vergütung (Bonus) zu verdienen.

  1. 43 Die Bekl. hat ihre Pflicht aus § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags auch schuldhaft verletzt. Bei der Haftung aus § 280I1 BGB wird das Verschulden des pflichtwidrig handelnden Schuldners gem. § 280 I 2 BGB vermutet. Es wäre also Sache der Bekl. gewesen, Umstände darzulegen, aus denen sich ergibt, dass sie das Nichtzustandekommen einer bzw. jährlicher Zielvereinbarung(en) ausnahmsweise nicht zu vertreten hat. Hieran fehlt es. Die Bekl. hat insbesondere nicht vorgetragen, dass sie dem Kl. nach Ablauf der Probezeit und jeweils vor Ablauf der entsprechenden Zielperiode Vorschläge für Verhandlungen über eine Zielvereinbarung unterbreitet hat.
  2. 44 Nach § 280IIIIBGB iVm § 283 BGB kann der Kl. von der Bekl. Ersatz des Schadens verlangen, der dadurch eingetreten ist, dass die Bekl. ihrer Verpflichtung, für die Jahre 2016 und 2017 mit ihm gemeinsam (jeweils) eine Zielvereinbarung zu treffen, schuldhaft nicht nachgekommen ist.

45a) Zwar tritt der Schadensersatzanspruch nach § 280 I 1 BGB – im Gegensatz zu den Ansprüchen aus den §§ 281283 BGB – nicht an die Stelle, sondern neben den Erfüllungsanspruch. Um einen Erfüllungsanspruch geht es aber nicht, wenn der Arbeitnehmer – wie hier – nach Ablauf der Zielperiode(n) den ihm für den Fall der Zielerreichung zugesagten Bonus verlangt. Der Kl. beansprucht nicht die gemeinsame Festlegung von Zielen und verfolgt damit nicht einen Erfüllungsanspruch. Er begehrt vielmehr Schadensersatz statt der Leistung. Dieser steht ihm gem. § 280 III BGB nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen ua des § 283 BGB zu. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, mit dem Arbeitnehmer für eine Zielperiode Ziele festzulegen, an deren Erreichen eine Bonuszahlung geknüpft ist, löst jedenfalls nach Ablauf der Zielperiode nach § 280 III BGB iVm § 283 S. 1 BGB grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch aus (vgl. BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 46).

46b) Nach Ablauf der Zeit, für die ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren hatte, ist die Festlegung von Zielen nicht mehr möglich. Eine Zielvereinbarung, die bei Zielerreichung einen Anspruch des Arbeitnehmers auf einen Bonus begründet, kann entsprechend dem Leistungssteigerungs- und Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion nur dann erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kennt und weiß, auf das Erreichen welcher persönlicher und/oder unternehmensbezogener Ziele der Arbeitgeber in dem jeweiligen Zeitraum besonderen Wert legt und deshalb bereit ist, bei Erreichen dieser Ziele den zugesagten Bonus zu zahlen. Eine dem Leistungssteigerungs- und Motivationsgedanken und damit dem Sinn und Zweck einer Zielvereinbarung gerecht werdende Aufstellung von Zielen für einen vergangenen Zeitraum ist nicht möglich. Die Festlegung von Zielen wird spätestens mit Ablauf der Zielperiode unmöglich iSv § 275 I BGB, so dass der Arbeitnehmer nach § 280 IIII BGB iVm § 283 S. 1 BGB statt der Festlegung von Zielen Schadensersatz verlangen kann (vgl. BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 47).

47c) Vorliegend sind die zusätzlichen Voraussetzungen des § 283 BGB erfüllt. Die beiden maßgeblichen Zielperioden – das Kalenderjahr 2016 und das Kalenderjahr 2017 – sind abgelaufen, ohne dass es zu einer Zielvereinbarung gekommen ist. Da die Anreizfunktion der Zielvereinbarung(en) mit Ablauf der Zielperiode(n) nicht mehr erreicht werden kann, ist Unmöglichkeit iSv § 283 S. 1 BGB eingetreten.

  1. 48 Der Höhe nach beläuft sich der dem Kl. zu ersetzende Schaden auf 14.175 Euro. Zwar ist dem Kl. in Folge der Pflichtverletzung der Bekl. eine erfolgsabhängige variable Vergütung (Bonus) iHv 15.750 Euro entgangen, wobei auf das Kalenderjahr 2016 ein Betrag iHv 7.000 Euro und auf das Kalenderjahr 2017 ein Betrag iHv 8.750 Euro entfällt. Der ersatzfähige Schaden beträgt allerdings – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils des Kl. von 10 % – 14.175 Euro.

49a) Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB.

50aa) Nach § 252 S. 1 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn. Dazu gehört auch entgangener Verdienst aus abhängiger Arbeit und damit auch eine Bonuszahlung. Als entgangen gilt gem. § 252 S. 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. § 252 S. 2 BGB enthält für den Geschädigten eine den § 287 ZPO ergänzende Beweiserleichterung. Der Geschädigte hat nur die Umstände darzulegen und in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falls die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt. Da die Beweiserleichterung des § 252 BGB, § 287 ZPO auch die Darlegungslast derjenigen Partei mindert, die Ersatz des entgangenen Gewinns verlangt, dürfen insoweit keine zu strengen Anforderungen gestellt werden (BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 48 mwN).

51bb) Dem Anwendungsbereich des § 287 I ZPO unterliegen sowohl die Feststellung des Schadens als auch dessen Höhe. Die Vorschrift dehnt für die Feststellung der Schadenshöhe das richterliche Ermessen über die Schranken des § 286 ZPO aus. Das Gesetz nimmt in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt. Allerdings soll die Schätzung möglichst nahe an diese heranführen (BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 49 mwN).

52cc) Hat der Arbeitgeber schuldhaft kein Gespräch mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung geführt, ist der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 S. 2 BGB Grundlage für die Ermittlung des dem Arbeitnehmer zu ersetzenden Schadens. Zwar müssen Zielvereinbarungen nicht stets die in Aussicht gestellte Bonuszahlung auslösen. Sie verfehlen jedoch ihren Motivations- und Leistungssteigerungszweck und werden ihrer Anreizfunktion nicht gerecht, wenn die festgelegten Ziele vom Arbeitnehmer von vornherein nicht erreicht werden können. Auch kann sich ein Arbeitgeber der in der Rahmenvereinbarung zugesagten Bonuszahlung nicht dadurch entziehen, dass er vom Arbeitnehmer Unmögliches verlangt und nur bereit ist, Ziele zu vereinbaren, die kein Arbeitnehmer erreichen kann. Dem ist bei der Ermittlung des Schadens nach § 287 I ZPO Rechnung zu tragen.

53(1) Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen (BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 50).

54(2) Die Bekl. hat keine besonderen Umstände dargetan, die die Annahme ausschließen, dass der Kl. vereinbarte Ziele erreicht hätte.

55Auf die Ergebnisse der „2016 Year-End Performance Evaluation“ im Rahmen ihres Bewertungssystems „C Success“ auf der Grundlage der Formulare „Performance Evaluation Competency Form“ und „Functional Objectives_P2 for D K“ kann sich die Bekl. nicht mit Erfolg berufen, da dieses Bewertungssystem nicht aufgrund einer Zielvereinbarung der Parteien zur Anwendung kam, sondern einseitig von der Bekl. vorgegeben wurde und auch nichts dafür ersichtlich ist, dass der Kl. damit einverstanden gewesen wäre, dass dieses Bewertungssystem an die Stelle der nach § 5 des Arbeitsvertrags gemeinsam zu treffenden Zielvereinbarung trat. Insoweit fehlt es bereits an einem konkreten Hinweis der Bekl. an den Kl., dass dem Bewertungssystem überhaupt Bedeutung für die Bonuszahlung nach § 5 des Arbeitsvertrags zukommen würde. Schon aus diesem Grund kann die Bekl. auch aus ihrem Vorbringen nichts zu ihren Gunsten ableiten, dass sich die Leistungen des Kl. im Kalenderjahr 2017, in dem dieser nicht an dem internen Bewertungssystem „C Success“ teilgenommen hatte, nicht verändert hätten.

56Soweit die Bekl. sich sowohl für das Kalenderjahr 2016 als auch für das Kalenderjahr 2017 auf eine negative Geschäftsentwicklung beruft, führt auch dies nicht zu einer anderen Bewertung. Zwar hat die Bekl. insoweit geltend gemacht, sie habe ausweislich ihrer Gewinn- und Verlustrechnung im Geschäftsjahr 2016 einen Jahresfehlbetrag iHv 7.497.533,77 Euro und im Geschäftsjahr 2017 einen solchen iHv 1852.038,17 Euro erwirtschaftet; darauf, dass ein in der Gewinn- und Verlustrechnung der Bekl. ausgewiesener Jahresfehlbetrag – ohne Rücksicht auf seine Ursachen – wegen Zielverfehlung einen Bonusanspruch ausschließt, hatten die Parteien sich allerdings nicht in einer Zielvereinbarung verständigt.

57b) Danach könnte der Kl. von der Bekl. grundsätzlich die ihm in Folge der Pflichtverletzung der Bekl. entgangenen Bonuszahlungen ersetzt verlangen. Diese belaufen sich für das Kalenderjahr 2016 auf 7.000 Euro und für das Kalenderjahr 2017 auf 8.750 Euro, mithin für beide Kalenderjahre insgesamt auf 15.750 Euro. Diese Beträge hatte das ArbG dem Kl. zugesprochen. Zwar hatte dieser mit seiner Anschlussberufung einen darüber hinausgehenden Betrag verlangt und geltend gemacht, dass ihm sowohl für das Jahr 2016 als auch für das Jahr 2017 jeweils der Maximalbonus iHv 25 % des Bruttojahresgehalts, dh jeweils iHv 21.000 Euro zustehe. Allerdings hatte das LAG seine die Anschlussberufung des Kl. zurückweisende Entscheidung – mit zutreffender Begründung – auch tragend darauf gestützt, dass ein Schadensersatzanspruch angesichts der Dauer der Tätigkeit des Kl. für die Bekl. abzüglich der Probezeit nur anteilig bestehen könne, nämlich für das Jahr 2016 höchstens iHv 7.000 Euro und für das Jahr 2017 iHv 8.750 Euro. Der Kl. hat mit der Revision – wie unter Rn. 17, 22 ausgeführt – die Entscheidung des LAG insoweit nicht angefochten.

58c) Ein Anspruch des Kl. auf Schadensersatz nach § 280 IIII BGB iVm § 283 S. 1 BGB ist nicht nach § 254 I BGB wegen eines ausschließlichen Verschuldens des Kl. am Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung ausgeschlossen.

59Zwar bedarf es bei Zielvereinbarungen – anders als bei einer arbeitsvertraglichen Abrede über Zielvorgaben des Arbeitgebers – der Mitwirkung des Arbeitnehmers bei der Aufstellung der Ziele für die jeweilige Zielperiode. Die Festlegung der Ziele ist damit nicht allein Aufgabe des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer verletzt eine vertragliche Nebenpflicht und hat weder einen Anspruch auf den Bonus noch einen Schadensersatzanspruch wegen entgangener Bonuszahlung, wenn allein aus seinem Verschulden eine Zielvereinbarung nicht zustande gekommen ist, weil er zB zu einem Gespräch mit dem Arbeitgeber über mögliche Ziele nicht bereit war (BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 51). Die Bekl. hat indes nichts dafür dargetan, dass allein aus dem Verschulden des Kl. eine Zielvereinbarung nicht zustande gekommen ist.

60d) Allerdings ist nach § 254 I BGB ein Mitverschuldensanteil des Klägers von 10 % anspruchsmindernd zu berücksichtigen, weshalb sich der Schadensersatzanspruch des Kl. nicht auf 15.750 Euro, sondern auf lediglich 14.175 Euro beläuft.

61aa) Ist in der Rahmenvereinbarung nicht ausdrücklich geregelt, dass der Arbeitgeber die Initiative zur Führung eines Gesprächs mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung zu ergreifen hat, und führt auch die Auslegung der Bonusregelung nicht zu einer alleinigen Pflicht des Arbeitgebers, die Verhandlungen über die Zielvereinbarung einzuleiten, ist bei einer nicht zustande gekommenen Zielvereinbarung nicht stets davon auszugehen, dass nur der Arbeitgeber die Initiative zu ergreifen und auf Grund seines Direktionsrechts ein Gespräch mit dem Arbeitnehmer über mögliche Ziele und deren Gewichtung anzuberaumen hatte. Vielmehr muss in einem solchen Fall auch der Arbeitnehmer die Verhandlungen über die Zielvereinbarung anregen. Insoweit reicht es allerdings aus, wenn er den Arbeitgeber zu Verhandlungen über die Zielvereinbarung auffordert (vgl. BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 52 f.).

62Beruht das Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung auf Gründen, die sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer zu vertreten haben, ist ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen der entgangenen erfolgsabhängigen Vergütung nicht ausgeschlossen. Trifft auch den Arbeitnehmer ein Verschulden daran, dass eine Zielvereinbarung unterblieben ist, ist dieses Mitverschulden des Arbeitnehmers nach § 254 BGB angemessen zu berücksichtigen (vgl. BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 54).

63bb) Danach trifft den Kl. ein Mitverschulden am Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung, das mit 10 % anspruchsmindernd zu berücksichtigen ist.

64(1) In § 5 des Arbeitsvertrags der Parteien ist nicht ausdrücklich geregelt, dass die Bekl. als Arbeitgeberin die Initiative zur Führung eines Gesprächs mit dem Kl. über eine Zielvereinbarung zu ergreifen hat. Auch die Auslegung der Bestimmung führt nicht zu einer alleinigen Pflicht der Bekl., die Verhandlungen über die Zielvereinbarung einzuleiten. Insoweit heißt es in § 5 S. 2 des Arbeitsvertrags nur, dass die Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und die Auszahlung der erfolgsabhängigen variablen Vergütung „gesondert geregelt“ wird. Danach kann die Initiative für eine solche Regelung grundsätzlich von jeder Seite des Arbeitsvertrags ausgehen. Da der Kl. Verhandlungen über eine Zielvereinbarung nicht angeregt hat, sondern völlig untätig geblieben ist, trifft ihn an dem Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung ein Mitverschulden.

65(2) Der als angemessen anspruchsmindernd zu berücksichtigende Mitverschuldensanteil des Kl. beträgt 10 %. Insoweit wirkt sich aus, dass der Arbeitnehmer, wenn er auch die Verhandlungen über die Zielvereinbarung anzuregen hat, dem Arbeitgeber keine möglichen Ziele nennen muss und dass bei den Verhandlungen über eine Zielvereinbarung in der Regel zunächst der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mögliche Ziele vorschlägt, auf die er besonderen Wert legt, während der Arbeitnehmer regelmäßig nur in quantitativer Hinsicht reagiert (vgl. zu beiden Gesichtspunkten auch BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07BAGE 125, 147 = NZA 2008, 409 Rn. 53).

  1. 66 Der Kl. war nicht gehalten, seinen Anspruch auf Ersatz des ihm für die Kalenderjahre 2016 und 2017 entgangenen Bonus innerhalb der in § 17 des Arbeitsvertrags bestimmten Fristen geltend zu machen. Der Schadenersatzanspruch des Kl. konnte nicht nach § 17 des Arbeitsvertrags verfallen. Die am 1.3.2016 in § 17 des Arbeitsvertrags der Parteien vereinbarte Klausel erfasst entgegen § 3S. 1 MiLoG auch den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (§ 1I und II MiLoG), der nach dem am 16.8.2014 in Kraft getretenen MiLoG ab dem 1.1.2015 zu zahlen ist (vgl. etwa BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18BAGE 163, 282 = NZA-RR 2019, 55 Rn. 27 ff. mwN). Es kann vorliegend dahinstehen,ob in dem Verstoß gegen § 3 S. 1 MiLoG zugleich eine unangemessene Benachteiligung iSv § 307 I 1 BGB liegt und die Klausel deshalb unwirksam ist (vgl. BGH v. 27.1.2015 – XI ZR 174/13, NJW 2015, 1440 = BKR 2015, 263 = EWiR 2015, 233 = GWR 2015, 126 = VuR 2015, 304 = WM 2015, 519 = ZIP 2015, 517 Rn. 17; v. 9.4.2014 – VIII ZR 404/12BGHZ 200, 362 = NJW 2014, 2269 = EWiR 2014, 419 = NZM 2014, 481 = VersR 2014, 1254 = WM 2014, 1731 = ZIP 2014, 1077 Rn. 20; v. 17.12.2013 – XI ZR 66/13BGHZ 199, 281 = NJW 2014, 922 = BKR 2014, 127 = EWiR 2014, 133 = NJ 2014, 252 = VuR 2014, 268 = WM 2014, 253 = ZIP 2014, 259 Rn. 10), oder ob die Klausel – wie der 9. Senat des BAG in seinem Urteil vom 18.9.2018 (9 AZR 162/18BAGE 163, 282 = NZA-RR 2019, 55) angenommen hat – wegen Intransparenz nach § 307 I 2 iVm S. 1 BGB unwirksam ist. In jedem Fall führt die Unwirksamkeit der Klausel nach § 306 I BGB zu deren ersatzlosen Wegfall unter Aufrechterhaltung des Vertrags im Übrigen (vgl. BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18BAGE 163, 282 = NZA-RR 2019, 55 Rn. 62 ff. mwN).
  2. 67 Der Anspruch des Kl. auf Zahlung von Schadensersatz iHv 14.175 Euro ist schließlich nicht durch Aufrechnung der Bekl. mit eigenen Schadensersatzansprüchen iHv 10.821,94 Euro nach § 389BGB teilweise erloschen. Aufgerechnet werden kann stets nur gegen den pfändbaren Nettobetrag des Arbeitseinkommens. Eine Aufrechnung gegen einen Bruttoentgeltanspruch verstößt gegen § 394BGB (BAG v. 13.11.1980 – 5 AZR 572/78 [zu II 2 b]; vgl. auch BAG v. 20.11.2018 – 9 AZR 349/18, NZA 2019, 722 Rn. 13) und ist deshalb unzulässig. So ist es hier. Auch wenn der Senat den dem Kl. zuerkannten Schadensersatzbetrag iHv 14.175 Euro im Urteilstenor nicht ausdrücklich als Bruttobetrag ausgewiesen hat, ist dieser Schadensersatzanspruch auf Naturalrestitution gerichtet. Der Kl. kann verlangen, so gestellt zu werden, als sei sein Anspruch auf die erfolgsabhängige variable Vergütung nicht untergegangen. Die Zahlung von Geld in Höhe der entgangenen Vergütung (hier: des Bonus) stellt wirtschaftlich die Gegenleistung für die Arbeitsleistung dar und ist demnach ein Bruttobetrag (vgl. BAG v. 6.5.2009 – 10 AZR 834/08BAGE 131, 9 = NZA 2009, 805 Rn. 23 mwN), für den vorliegend die Höhe der sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Abzüge nicht bekannt ist, was einer Aufrechnung entgegensteht.

 

Entgeltgleichheitsklage – Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts

 

Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit (Art. 157 AEUV, §§ 3 I und 7 EntgTranspG), begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson(en), regelmäßig die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist.

 

BAG, Urt. v. 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 (LAG Niedersachsen, Urt. v. 1.8.2019 – 5 Sa 196/19)

 

 

Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG:

  1. Eine Klage auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts kann sowohl auf den direkt anwendbaren Art. 157AEUV als auch auf § 3 I und/oder § 7 EntgTranspG gestützt werden. Diese Bestimmungen dienen nebeneinander der Verwirklichung des Anspruchs auf Entgeltgleichheit (Rn. 17).
  2. §§ 3I und 7 EntgTranspG, die auf die Umsetzung der Bestimmungen der RL 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt und zur entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit in das nationale Recht in Deutschland gerichtet sind, sind unionsrechtskonform, dh entsprechend den Vorgaben der RL 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH auszulegen (Rn. 19).
  3. Der Ausdruck „Entgelt“ umfasst sämtliche Entgeltbestandteile. Darunter fallen die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar als Geld- oder Sachleistung zahlt (§ 5I EntgTranspG, Art. 2 I Buchst.e RL 2006/54/EG). Bei einer Klage auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts ist jeder einzelne Entgeltbestandteil für sich zu betrachten und keine Gesamtbewertung des gezahlten Entgelts vorzunehmen. Nur so ist eine echte Transparenz, die für eine wirksame Kontrolle unerlässlich ist, gewährleistet (Rn. 20, 23).
  4. Bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ist sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten (§ 3I EntgTranspG, Art. 4 S. 1 RL 2006/54/EG). Eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung liegt vor, wenn eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter wegen des Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres Entgelt erhält, als eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts erhält, erhalten hat oder erhalten würde (§ 3 II EntgTranspG, Art. 2 I Buchst.a und Art. 4 RL 2006/54/EG). Eine mittelbare Entgeltbenachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Beschäftigte wegen des Geschlechts gegenüber Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts in Bezug auf das Entgelt in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich (§ 3 III EntgTranspG, Art. 2 I Buchst.b und Art. 4 RL 2006/54/EG) (Rn. 21f.).
  5. Nach § 4I EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleiche Arbeit aus, wenn sie an verschiedenen Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausführen. Nach § 4 II 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleichwertige Arbeit im Sinne des EntgTranspG aus, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Nach § 4 II 2 EntgTranspG gehören zu den zu berücksichtigenden Faktoren unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen und nach § 4 II 3 EntgTranspG ist von den tatsächlichen, für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen auszugehen, die von den ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen unabhängig sind. Der Begriff der gleichwertigen Arbeit ermöglicht es, sehr unterschiedliche Tätigkeiten mittels diskriminierungsfreier Arbeitsbewertung darauf zu überprüfen, ob sie von gleichem Arbeitswert sind. Damit kann strukturelle und mittelbar diskriminierende Entgeltungleichheit festgestellt werden (Rn. 22, 37).
  6. Für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht § 22AGG maßgebend. Nach dieser Bestimmung, die unionsrechtkonform im Einklang mit Art. 19 IV RL 2006/54/EG auszulegen ist, ist für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vorgesehen. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach muss im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit der/die Beschäftigte, der/die sich diskriminiert glaubt und deshalb gegen seinen/ihren Arbeitgeber Klage auf Beseitigung dieser Diskriminierung erhebt, mit allen rechtlich vorgesehenen Mitteln darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass sein/ihr Arbeitgeber ihm/ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als seinen/ihren zum Vergleich herangezogenen Kolleg/inn/en des anderen Geschlechts und dass er/sie die gleiche oder eine gleichwertige, mit deren Arbeit vergleichbare Arbeit verrichtet, so dass er/sie dem ersten Anschein nach Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung ist. Ist dies gelungen, kehrt sich die Beweislast um (Rn. 24ff., 28, 45, 51).
  7. Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt das Beweismaß des so genannten Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (Rn. 31).
  8. Im Einzelfall kann für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Rechtsstreit um gleiches Entgelt die spezielle Bestimmung des § 15V EntgTranspG zur Anwendung kommen, die eine gegenüber der Beweislastregel des § 22 AGG modifizierte Beweislastregel enthält. Danach trägt der Arbeitgeber, der die Erfüllung seiner Auskunftspflicht verletzt, im Streitfall die Beweislast – worunter unionsrechtskonform die Darlegungs- und Beweislast zu verstehen ist – dafür, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot im Sinne des EntgTranspG vorliegt (Rn. 26, 53, 55).
  9. Bei der Auslegung von § 22AGG sowie der Bestimmungen über das Verbot der Diskriminierung beim Entgelt ist das Gebot der „praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts“ zu beachten, wonach der Rechtsanspruch auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts vor den nationalen Gerichten durchsetzbar sein muss. Dafür kann die Darlegungs- und Beweislast unter besonderen Umständen, wenn nämlich sonst kein wirksames Mittel vorhanden ist, um die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts durchzusetzen, gegebenenfalls modifiziert sein, wofür die Rechtsprechung des EuGH verschiedene Beispiele aufzeigt (Rn. 30).
  10. Der individuelle Auskunftsanspruch nach § 10EntgTranspG und die zu erteilende Auskunft nach §§ 11ff. EntgTranspG sind nach dem Zweck des EntgTranspG auf die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsanspruchs von Männern und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ausgerichtet. Die Beschäftigten sollen durch die erlangten Informationen in die Lage versetzt werden, bei einer Entgeltgleichheitsklage ihrer Darlegungs- und Beweislast nachkommen zu können (Rn. 43f.).
  11. In der arbeitgeberseitigen Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt nach § 11III EntgTranspG liegt zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson(en) im Sinne des § 3 II 1 EntgTranspG, weil entweder ein konkreter oder ein hypothetischer bzw. fiktiver Beschäftigter des anderen Geschlechts das jeweilige Entgelt bzw. den jeweiligen Entgeltbestandteil für gleiche oder gleichwertige Tätigkeit erhält. Im Rechtsstreit einer Frau um gleiches Entgelt begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson(en) regelmäßig die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung, dass die klagende Arbeitnehmerin die Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ erfahren hat (Rn. 16, 33ff., 39ff.).
  12. Ob eine Auskunft nach §§ 11ff. EntgTranspG eine Entgeltdiskriminierung zuverlässig anzeigen kann, ist für den Eintritt der Vermutungswirkung nach § 22AGG unbeachtlich. Vielmehr ist es Sache des Arbeitgebers im Rahmen seiner Darlegungs- und Beweislast, sich mit der Aussagekraft der von ihm erteilten Auskunft für eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts auseinanderzusetzen. Ihm obliegt es nach § 22 AGG, darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (Rn. 58).
  13. Um die Vermutung zu widerlegen, dass der/die klagende Beschäftigte die Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ erfahren hat, hat der Arbeitgeber vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die festgestellte unterschiedliche Vergütung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, zu erklären ist und dass die Ungleichbehandlung auch tatsächlich ausschließlich auf anderen Gründen als dem unterschiedlichen Geschlecht der Arbeitnehmer, also auf einem geschlechtsunabhängigen Unterschied beruht. Die vorgebrachte Erklärung muss auf einem legitimen Ziel beruhen. Die zu dessen Erreichung gewählten Mittel müssen hierzu geeignet und erforderlich sein. Auf Kriterien und Faktoren, die im Ergebnis Frauen stärker nachteilig betreffen als Männer, kann eine Entgeltdifferenzierung nur gestützt werden, wenn sie der Art der Arbeit geschuldet sind und zu den (legitimen) Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens in Beziehung stehen. Bloße allgemeine Behauptungen des Arbeitgebers genügen nicht (Rn. 62f.).
  14. Soweit ein Entgeltsystem zur Anwendung kommt, müssen nach § 4IV EntgTranspG und Art. 4 S. 2 RL 2006/54/EG dieses Entgeltsystem als Ganzes und auch die einzelnen Entgeltbestandteile so ausgestaltet sein, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist (Rn. 66).
  15. Die Kriterien der Entgeltdifferenzierung müssen konsequent geschlechtsneutral aufgestellt, ausgelegt und in der betrieblichen Praxis angewendet werden (Rn. 68).
  16. Für unmittelbare Entgeltdiskriminierungen wegen des Geschlechts gibt es keine Möglichkeit der Rechtfertigung (Rn. 54).
  17. Eine Entgeltgleichheitsklage ist auf die Nachzahlung gleichheitswidrig vorenthaltener Vergütung gerichtet. Wird eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt und sind bislang keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung getroffen worden, können die Gerichte die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nur dadurch gewährleisten, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie die, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zugutekommen, wobei diese Regelung, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt (Rn. 75).

 

 

Zum Sachverhalt:

 

Die Parteien streiten in der Revision noch darüber, ob die Bekl. wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts verpflichtet ist, an die Kl. für die Monate August 2018 bis Januar 2019 ein höheres monatliches Arbeitsentgelt zu zahlen.

Die Bekl. ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die der V-Versicherungsgruppe angehört. Die Kl. ist bei der Bekl. seit 1998 beschäftigt. Aufgrund Änderungsvertrags vom 12.9.2011 war sie bis einschließlich November 2017 bei der P Lebensversicherung H. tätig, die ebenfalls der V-Versicherungsgruppe angehört. Dort nahm die Kl. ab dem 1.10.2011 die Aufgaben einer Abteilungsleitung wahr und wurde zum 1.4.2012 zur Abteilungsleiterin ernannt. Durch dreiseitigen Änderungsvertrag vom 23.10.2017 vereinbarten die Kl., die Bekl. und die P Lebensversicherung H., dass das Arbeitsverhältnis der Kl. unter Anrechnung der Betriebszugehörigkeit seit dem 15.3.1998 zum 1.12.2017 in vollem Umfang von der Lebensversicherung H. auf die Bekl. übergeht und dass das Arbeitsverhältnis der Kl. mit der Lebensversicherung H. mit Ablauf des 30.11.2017 endet. Entsprechend der in og Änderungsvertrag getroffenen weiteren Abrede wurde die Kl. ab dem 1.12.2017 zur Abteilungsleiterin der Abteilung Schaden der Regionaldirektion G. der Bekl. ernannt.

Bis zum 31.3.2013 richtete sich die Vergütung der Kl. nach dem Gehaltstarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe (im Folgenden Gehaltstarifvertrag). Anlässlich der bevorstehenden Ernennung zur Abteilungsleiterin hatten die Kl. und ihr damaliger Vorgesetzter bei der Lebensversicherung H. einen Stufenplan vereinbart, wonach die Kl., die bislang eine Vergütung nach der Tarifgruppe VI des Gehaltstarifvertrags erhielt, mit ihrer Ernennung zur Abteilungsleiterin am 1.4.2012 nach der Tarifgruppe VIII des Gehaltstarifvertrags vergütet wurde. Zudem wurde eine Verantwortungszulage gezahlt. Seit dem 1.4.2013 wurde die Kl. außertariflich vergütet, wobei sie neben den allgemeinen Erhöhungen des Tarifentgelts im privaten Versicherungsgewerbe, die auch an die außertariflichen Angestellten weitergegeben wurden, zum 1.4.2013 und zum 1.4.2015 weitere Entgelterhöhungen erhielt. Eine zunächst geplante Anhebung ihrer Vergütung zum 1.4.2017 wurde wegen angeblicher Mängel im Führungsverhalten der Kl. nicht umgesetzt. Zuletzt erhielt die Kl. bis zum 31.1.2019 ein Grundentgelt iHv 5385,40 Euro brutto zuzüglich einer übertariflichen Zulage iHv 500 Euro brutto.

Mit Schreiben vom 2.7.2018 beantragte die Kl. bei der Bekl. die Erteilung einer Auskunft nach § 11 EntgTranspG. In ihrer Auskunft vom 24.7.2018 teilte die Bekl. der Kl. mit, dass der „Median der männlichen Abteilungsleiter in der V., die seit 2012 eine Führungsaufgabe übernommen haben“, 5559 Euro brutto monatlich betrage. Den Median der übertariflichen Zulage bei männlichen Beschäftigten dieser Vergleichsgruppe gab die Bekl. mit 550 Euro brutto monatlich an. Mit E-Mail vom 13.8.2018 beanstandete die Kl. diese Auskunft und wies darauf hin, dass eine Vergleichsgruppe bestehend lediglich aus den Abteilungsleitern, die seit 2012 beschäftigt seien, nicht den Vorgaben des EntgTranspG entspreche. In der daraufhin der Kl. von der Bekl. erteilten Auskunft vom 22.8.2018 heißt es auszugsweise:

Auskunft:

Übertarifliches Grundgehalt

Sie sind übertariflich eingruppiert und erhalten ein Grundentgelt iHv 5385,40 Euro brutto monatlich. Eine Führungsaufgabe in der V. nehmen Sie seit 2012 wahr.

Gem. § 11 III Nr. 1 EntgTranspG ist als Vergleichsentgelt der statistische Median des durchschnittlichen Monatsentgelts der Beschäftigten des jeweiligen anderen Geschlechts anzugeben, die der gleichen Vergleichsgruppe angehören.

Der Median der männlichen Abteilungsleiter in der V. (Direktion und alle Regionaldirektionen) beträgt 6292 Euro, wobei der ,Mediona-AL‘ die Führungstätigkeit seit 1999 wahrnimmt.

Übertarifliche Zulage

Sie erhalten eine übertarifliche Zulage iHv 500 Euro brutto monatlich.

Der Median der übertariflichen Zulage bei männlichen Beschäftigten der Vergleichsgruppe beträgt 600 Euro brutto monatlich.“

Ab dem 1.2.2019 wurden das Grundentgelt der Kl. um 303,50 Euro brutto auf 5688,90 Euro brutto monatlich und die Zulage um 50 Euro auf 550 Euro erhöht.

Die Abteilungsleiter und -leiterinnen bei der Bekl., die eine unterschiedliche Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Beschäftigung in der Funktion der Abteilungsleitung aufweisen, waren teilweise – wie die Kl. – zuvor bereits als Tarifbeschäftigte bei der Bekl. tätig, wobei die Beförderung zur Abteilungsleitung aus unterschiedlichen Tarifgruppen heraus erfolgte; teilweise handelt es sich bei den Abteilungsleitern und -leiterinnen um Seiteneinsteiger/innen, die zuvor bei anderen Arbeitgebern tätig waren.

Bei der Bekl. liegt das Durchschnittsgehalt der vergleichbar beschäftigten männlichen Abteilungsleitungen um acht Prozent höher als das der weiblichen Abteilungsleitungen. In der Gruppe der Abteilungsleitungen ist die Person mit der höchsten Vergütung eine Frau.

Die Kl. hat die Bekl. mit ihrer Klage – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – auf Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt (Antrag zu 1 rund 6040 Euro) sowie der ihr gezahlten Zulage und den beiden ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelten für die Zeit von August 2018 bis Januar 2019 in Anspruch genommen und die Feststellung begehrt, dass die Bekl. verpflichtet ist, an sie ab Februar 2019 ein höheres Bruttoentgelt und eine höhere monatliche Zulage zu zahlen (Antrag zu 2).

Die Kl. hat die Auffassung vertreten, die Auskunft der Bekl. vom 22.8.2018 begründe die Vermutung iSv § 22 AGG, dass die Bekl. ihr entgegen § 7 EntgTranspG für die gleiche Arbeit als Abteilungsleiterin wegen ihres Geschlechts weniger Entgelt zahle als dem männlichen Abteilungsleiter, der das mitgeteilte Vergleichsentgelt erhalte. Die Bekl. habe demgegenüber nicht dargetan und bewiesen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt sei. Sie habe nicht aufgezeigt, dass das Entgelt der außertariflich beschäftigten Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter sich ausschließlich nach geschlechtsneutralen Kriterien richte und diese auch geschlechtsneutral angewendet würden.

Die Bekl. hat behauptet, bei ihr richte sich die Vergütung der außertariflich beschäftigten Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter ausschließlich nach geschlechtsneutralen Kriterien. Die Unterschiede beim Entgelt seien einerseits darauf zurückzuführen, dass bereits das Einstiegsentgelt – abhängig etwa von dem letzten Tarifentgelt und gegebenenfalls abhängig von den Gehaltsverhandlungen beim Wechsel von einem anderen Arbeitgeber zu ihr – sehr unterschiedlich sei. Zum anderen wirke sich die unterschiedliche Dauer der Tätigkeit in der Abteilungsleitungsfunktion aus, die mit regelmäßigen Entgelterhöhungsrunden honoriert werde. Darüber hinaus bestimmten in diesem Bereich der Führungspositionen auch weiche und damit nicht messbare Faktoren die Entgelthöhe.

Das ArbG Göttingen (Urt. v. 29.1.2019 – 1 Ca 194/18 Ö, BeckRS 2019, 22010) hat dem auf Zahlung gerichteten Antrag zu 1 stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das LAG Niedersachsen (Urt. v. 1.8.2019 – 5 Sa 196/19, NZA-RR 2019, 629) hat auf die Berufung der Bekl. das Urteil des ArbG – unter Zurückweisung der Berufung der Kl. – abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Kl. verfolgt mit der Revision ihren auf Zahlung von 6039,60 Euro brutto gerichteten Klageantrag zu 1 weiter. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

13A. Mit dem Einverständnis der Parteien konnte vorliegend im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 128 II ZPO.

14B. Die zulässige Revision der Kl. ist begründet. Mit der vom LAG gegebenen Begründung durfte der auf Zahlung gerichtete Klageantrag zu 1 nicht abgewiesen werden. Aufgrund der vom LAG bislang getroffenen Feststellungen kann der Senat allerdings nicht abschließend beurteilen, ob der Klageantrag zu 1 begründet ist; den Parteien ist zudem Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Dies führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das LAG auf die Berufung der Bekl. den Klageantrag zu 1 abgewiesen hat (§ 562 I ZPO), und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG (§ 563 I 1 ZPO).

15I. Die Revision der Kl. ist zulässig, insbesondere wurde sie – entgegen der Auffassung der Bekl. – innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ordnungsgemäß iSv § 72 V ArbGG iVm § 551 III 1 Nr. 2 ZPO begründet (näher zu den Maßgaben vgl. etwa BAG v. 28.2.2019 – 8 AZR 201/18BAGE 166, 54 = NZA 2019, 1279 Rn. 14 mwN). Die Kl. hat sich hinreichend mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt und die Gesichtspunkte dargelegt, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Insoweit hat sie insbesondere geltend gemacht, sie habe, indem sie sich auf die von der Bekl. erteilte Auskunft vom 22.8.2018 bezogen habe, hinreichende Indizien iSv § 22 AGG für eine geschlechtsbezogene Entgeltbenachteiligung dargetan. Dies habe das LAG verkannt.

16II. Die Revision der Kl. ist auch begründet. Mit der vom LAG gegebenen Begründung durfte der auf Art. 157 AEUV, § 3 I und § 7 EntgTranspG gestützte Klageantrag zu 1 nicht abgewiesen werden. Die Kl. hat im Zeitraum von August 2018 bis Januar 2019 eine unmittelbare Entgeltbe-nachteiligung iSv § 3 II 1 EntgTranspG erfahren, denn die Bekl. hat ihr ein geringeres Entgelt gezahlt als den männlichen Abteilungsleitern, die das von der Bekl. mit Auskunft vom 22.8.2018 mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) erhalten. Entgegen der Annahme des LAG begründet dieser Umstand die – von der Bekl. widerlegbare – Vermutung, dass die Kl. die Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ erfahren hat. Aufgrund der bislang vom LAG getroffenen Feststellungen konnte der Senat allerdings nicht abschließend entscheiden, ob die Klage begründet ist. Zugleich ist den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Dies führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das LAG auf die Berufung der Bekl. den Klageantrag zu 1 abgewiesen hat (§ 562 I ZPO), und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG (§ 563 I 1 ZPO).

  1. Der Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts folgt sowohl aus dem direkt anwendbaren Art. 157AEUV als auch aus § 3I und § 7 EntgTranspG (vgl. zu § 3 I und § 7 EntgTranspG bereits BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613 Rn. 6498).

18a) Nach Art. 157 I AEUV, der zwingenden Charakter hat und von den nationalen Gerichten direkt anwendbar ist (vgl. etwa – teilweise zu den Vorgängerbestimmungen Art. 119 EG-Vertrag bzw. Art. 141 EG – EuGH v. 8.5.2019 – C-486/18ECLI:EU:C:2019:379 = NZA 2019, 1131 Rn. 67 – Praxair MRC; v. 13.1.2004 – C-256/01ECLI:EU:C:2004:18 = NZA 2004, 201 Rn. 45 – Allonby; v. 17.9.2002 – C-320/00ECLI:EU:C:2002:498 = NJW 2002, 3160 Rn. 1317 – Lawrence ua; v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 Rn. 32 – Brunnhofer; v. 8.4.1976 – C-43/75ECLI:EU:C:1976:56 = NJW 1976, 2068 Rn. 39 f. – Defrenne II; vgl. auch ua BAG v. 26.9.2017 – 3 AZR 733/15, NJOZ 2018, 1710 Rn. 22 mwN), gilt bei Beschäftigungsverhältnissen der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Art. 157 I AEUV verlangt, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt erhalten. Die entsprechenden Bestimmungen der RL 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt, darunter insbesondere deren Art. 2 I Buchst. e und Art. 4, werden von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 157 AEUV miterfasst (vgl. EuGH v. 8.4.1976 – C- 43/75ECLI:EU:C:1976:56 = NJW 1976, 2068 Rn. 54 – Defrenne II zu Vorgängerbestimmungen). Die in Art. 157 AEUV und die in der Richtlinie verwendeten Begriffe haben dieselbe Bedeutung; die Richtlinie berührt im Übrigen in keiner Weise den Inhalt oder die Tragweite des Grundsatzes, so wie er in Art. 157 AEUV definiert ist (vgl. etwa EuGH v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 Rn. 29 mwN – Brunnhofer).

19b) § 3 I EntgTranspG bestimmt, dass bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten ist. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts (ebenso bereits BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613 Rn. 6498). § 3 I und § 7 EntgTranspG sind auf die Umsetzung der Bestimmungen der RL 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt und zur entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit in das nationale Recht in Deutschland gerichtet (vgl. näher BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613 Rn. 63 ff.; vgl. auch BT-Drs. 18/11133, 45 sowie ebd. 28). § 3 I und § 7 EntgTranspG sind entsprechend den Vorgaben der RL 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtskonform auszulegen.

20c) Nach Art. 2 I Buchst. e RL 2006/54/EG, der im Übrigen Art. 157 II AEUV entspricht, bezeichnet der Ausdruck „Entgelt“ die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar als Geld- oder Sachleistung zahlt. Art. 2 I Buchst. e RL 2006/54/EG wurde mit § 5 I EntgTranspG in das innerstaatliche Recht umgesetzt. Danach bezeichnet „Entgelt“ iSd EntgTranspG alle Grund- oder Mindestarbeitsentgelte sowie alle sonstigen Vergütungen, die unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses gewährt werden (vgl. näher BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613 Rn. 5267).

21d) Nach Art. 4 S. 1 RL 2006/54/EG sowie nach § 3 I EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten.

22Dabei liegt eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung vor, wenn eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter wegen des Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres Entgelt erhält, als eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts erhält, erhalten hat oder erhalten würde, § 3 II EntgTranspG sowie Art. 2 I Buchst. a und Art. 4 RL 2006/54/EG. Eine mittelbare Entgeltbenachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Beschäftigte wegen des Geschlechts gegenüber Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts in Bezug auf das Entgelt in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, § 3 III EntgTranspG sowie Art. 2 I Buchst. b und Art. 4 RL 2006/54/EG. Der Rechtsbegriff der gleichwertigen Arbeit ermöglicht es, nicht-gleiche Tätigkeiten daraufhin zu überprüfen, ob sie von gleichem Arbeitswert sind, wodurch die Feststellung struktureller und mittelbar diskriminierender Entgeltungleichheiten ermöglicht wird (vgl. Das Entgelttransparenzgesetz: Ein Leitfaden für Arbeitgeber sowie für Betriebs- und Personalräte, Bundesministerium für Familie Senioren, Frauen und Jugend 2017, 16; vgl. auch BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613 Rn. 59).

23Im Hinblick auf die Methode, mit der anhand eines Vergleichs der den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gewährten Vergütungen zu prüfen ist, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts beachtet wurde, ergibt sich zudem aus der Rechtsprechung des EuGH, dass eine echte Transparenz, die eine wirksame Kontrolle erlaubt, nur gewährleistet ist, wenn dieser Grundsatz für jeden einzelnen Bestandteil des den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gezahlten Entgelts gilt und nicht nur im Wege einer Gesamtbewertung der diesen gewährten Vergütungen angewandt wird (vgl. etwa EuGH v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 = BeckRS 9998, 155798 Rn. 35 mwN – Brunnhofer).

24e) § 22 AGG, der auch im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht maßgebend ist, sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, hier des Geschlechts vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (vgl. zu § 22 AGG etwa BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 75/19, NZA 2020, 1626 Rn. 25; v. 25.10.2018 – 8 AZR 501/14BAGE 164, 117 = NZA-RR 2019, 185 Rn. 51).

25aa) § 22 AGG ist auch im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit nach den speziellen Regelungen in § 3 I bzw. § 7 EntgTranspG maßgebend, mit denen die zuvor im AGG unterbliebene, zwingend erforderliche Umsetzung von Art. 2 I Buchst. e sowie von Art. 4 RL 2006/54/EG in das innerstaatliche Recht in Deutschland erfolgte (vgl. näher zur erforderlichen und zuvor unterbliebenen Umsetzung BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613 Rn. 50 ff.).

26Das EntgTranspG enthält – von der in § 15 V EntgTranspG für den hier nicht einschlägigen speziellen Fall der Nichterfüllung der Auskunftspflicht getroffenen Bestimmung abgesehen – selbst keine Regelung zur Darlegungs- und Beweislast, sondern verweist in § 2 II 1 EntgTranspG ausdrücklich auf das AGG, das danach „unberührt bleibt“. Von dieser Verweisung wird auch § 22 AGG erfasst. Andernfalls würde es im deutschen Recht – unionsrechtswidrig – für den in § 3 I bzw. § 7 EntgTranspG enthaltenen Grundsatz des gleichen Entgelts an einer Umsetzung von Art. 19 I RL 2006/54/EG fehlen, wonach dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Bekl. obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast findet im Übrigen nach Art. 19 IV RL 2006/54/EG ausdrücklich auch auf Situationen Anwendung, die von Art. 141 EG – heute Art. 157 AEUV (vgl. zu dieser Bestimmung oben Rn. 18) – erfasst werden. Dass der deutsche Gesetzgeber diesen Vorgaben nicht gerecht werden wollte, kann indes nicht angenommen werden. Im Gegenteil, durch den Verweis in § 2 II 1 EntgTranspG auf das AGG hat er vorgesehen, dass auch § 22 AGG Anwendung findet und damit den Grundsatz bestätigt, dass das EntgTranspG dem AGG für entgeltbezogene Benachteiligungen wegen des Geschlechts als lex specialis (nur) dann vorgeht, wenn es eine abschließende Regelung trifft (vgl. bereits BT-Drs. 18/11133, 48).

27bb) § 22 AGG ist in einem Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit Art. 19 RL 2006/54/EG auszulegen, der (bzw. die Vorgängerbestimmungen in der so genannten Beweislastrichtlinie 97/80/EG) eine Kodifizierung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zur Darlegungs- und Beweislast in Rechtsstreiten um Entgeltdiskriminierung enthält (vgl. EuGH v. 10.3.2005 – C-196/02ECLI:EU:C:2005:141 = EuZW 2005, 406 = NZA 2005, 807 Rn. 69 – Nikoloudi).

28(1) Danach trifft die Beweislast für das Vorliegen einer Diskriminierung beim Entgelt aufgrund des Geschlechts grundsätzlich den Arbeitnehmer, der sich diskriminiert glaubt und deshalb gegen seinen Arbeitgeber Klage auf Beseitigung dieser Diskriminierung erhebt (vgl. etwa EuGH v. 28.2.2013 – C-427/11ECLI:EU:C:2013:122 = NZA 2013, 315 Rn. 18 – Kenny ua; v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 = BeckRS 9998, 155798 Rn. 52 f., 57– Brunnhofer; v. 27.10.1993 – C-127/92ECLI:EU:C:1993:859 = NZA 1994, 797 Rn. 13 – Enderby). Es ist folglich Sache dieses Arbeitnehmers, mit allen rechtlich vorgesehenen Mitteln zu beweisen, dass sein Arbeitgeber ihm ein niedrigeres Entgelt zahlt als seinen zum Vergleich herangezogenen Kollegen und dass er die gleiche oder eine gleichwertige, mit deren Arbeit vergleichbare Arbeit verrichtet, so dass er dem ersten Anschein nach Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung ist (vgl. etwa EuGH v. 28.2.2013 – C-427/11ECLI:EU:C:2013:122 = NZA 2013, 315 Rn. 19 – Kenny ua; v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 = BeckRS 9998, 155798 Rn. 58 – Brunnhofer; v. 27.10.1993 – C-127/92ECLI:EU:C:1993:859 = NZA 1994, 797 – Enderby).

29(2) Dieser Maßstab gilt für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit, soweit das Entgelt nicht vom individuellen Arbeitsergebnis jedes Arbeitnehmers abhängt. Soweit es hingegen um Entgelt geht, für das das individuelle Arbeitsergebnis jedes Arbeitnehmers ausschlaggebend ist (Leistungsbewertung), kommen modifizierte Anforderungen zum Tragen (vgl. beispielhaft EuGH v. 31.5.1995 – C-400/93ECLI:EU:C:1995:155 = EuZW 1995, 575 Rn. 25 ff. – Royal Copenhagen – bei einem Stücklohnsystem).

30(3) Darüber hinaus ist bei der Auslegung von § 22 AGG das Gebot der „praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts“ zu beachten; die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts muss vor den nationalen Gerichten durchsetzbar sein (vgl. etwa EuGH v. 17.10.1989 – 109/88ECLI:EU:C:1989:383 = NZA 1990, 772 Rn. 13 – Danfoss). IdS kann der Arbeitnehmer seiner Beweislast für das Vorliegen einer Diskriminierung beim Entgelt aufgrund des Geschlechts unter besonderen Umständen, wenn nämlich sonst kein wirksames Mittel vorhanden ist, um die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts durchzusetzen, gegebenenfalls unter modifizierten Voraussetzungen genügen. Dies kann nach der Rechtsprechung des EuGH in verschiedenen Situationen in Betracht kommen, so ua wenn einem Entgeltsystem jede Durchschaubarkeit fehlt (vgl. etwa EuGH v. 17.10.1989 – 109/88ECLI:EU:C:1989:383 = NZA 1990, 772 Rn. 16 – Danfoss), wenn zwischen den Beschäftigten nach ihrer Arbeitszeit unterschieden wird und dies tatsächlich mehr Personen des einen oder anderen Geschlechts benachteiligt (vgl. etwa EuGH v. 7.2.1991 – C-184/89ECLI:EU:C:1991:50 = NVwZ 1991, 461 Rn. 15 = NZA 1991, 513 Ls. – Nimz; v. 27.6.1990 – C-33/89ECLI:EU:C:1990:265 = NZA 1990, 771 Rn. 16 – Kowalska; v. 13.5.1986 – 170/84ECLI:EU:C:1986:204 = NZA 1986, 599 Rn. 31 – Bilka; zusf. EuGH v. 27.10.1993 – C-127/92ECLI:EU:C:1993:859 = NZA 1994, 797 Rn. 14 – Enderby) oder wenn es um die Frage der Diskriminierung bei unterschiedlicher, jedoch gleichwertiger Arbeit geht; hier kann gegebenenfalls die Darlegung aussagekräftiger statistischer Angaben ausreichend sein (vgl. etwa EuGH v. 27.10.1993 – C-127/92ECLI:EU:C:1993:859 = NZA 1994, 797 Rn. 16 – Enderby). Um Umstände solcher Art geht es vorliegend jedoch nicht.

31(4) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (vgl. zur Entgeltgleichheit und zu anderen Gleichbehandlungsfragen etwa EuGH v. 16.7.2015 – C-83/14ECLI:EU:C:2015:480 = NZA 2015, 1247 Rn. 85 – CHEZ Razpredelenie Bulgaria; v. 25.4.2013 – C-81/12ECLI:EU:C:2013:275 = NZA 2013, 891 Rn. 55 mwN – Asociaƫia Accept; v. 28.2.2013 – C-427/11ECLI:EU:C:2013:122 = NZA 2013, 315 Rn. 20 – Kenny ua; v. 10.7.2008 – C-54/07ECLI:EU:C:2008:397 = NZA 2008, 929 Rn. 32 – Feryn; v. 3.10.2006 – C-17/05ECLI:EU:C:2006:633 = NZA 2006, 1205 Rn. 31 – Cadman; v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 = BeckRS 9998, 155798 Rn. 60 – Brunnhofer). Hierfür gilt allerdings das Beweismaß des so genannten Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. zum AGG etwa BAG v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18BAGE 169, 302 = NZA 2020, 851 Rn. 36 mwN).

32(5) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen Haupt- und/oder Hilfstatsachen eine Benachteiligung, hier wegen des Geschlechts vermuten lassen, als auch deren Würdigung, ob die von dem Arbeitgeber seinerseits vorgebrachten Tatsachen den Schluss darauf zulassen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen, hier wegen des Geschlechts vorgelegen hat, sind nur eingeschränkt revisibel. Die revisionsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Würdigung der Tatsachengerichte möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. zu den Überprüfungsgrundsätzen etwa BAG v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18BAGE 169, 302 = NZA 2020, 851 Rn. 67; v. 11.8.2016 – 8 AZR 375/15BAGE 156, 107 = NZA 2017, 43 Rn. 48 mwN).

  1. Danach durfte das LAGden auf Art. 157AEUV, § 3 I und § 7 EntgTranspG gestützten Klageantrag zu 1 nicht mit der von ihm gegebenen Begründung abweisen. Die Kl. wurde dadurch unmittelbar iSv § 3 II 1 EntgTranspG benachteiligt, dass die Bekl. ihr ein geringeres monatliches Grundentgelt und eine geringere monatliche übertarifliche Zulage gezahlt hat als den in der Auskunft der Bekl. vom 22.8.2018 aufgeführten männlichen Abteilungsleitern, die jeweils das von der Bekl. – ebenfalls mit Auskunft vom 22.8.2018 – mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) erhalten. Entgegen der Annahme des LAG begründet dieser Umstand nach § 22 AGG – unter Berücksichtigung der unter Rn. 28 aufgeführten unionsrechtlichen Vorgaben in der Auslegung durch den EuGH – die von der Bekl. widerlegbare Vermutung, dass die Kl. die Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ erfahren hat. Soweit das LAG angenommen hat, die Kl. habe keine ausreichenden Indizien für eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts dargetan, insbesondere sei eine Auskunft, der zufolge – wie im Fall der Kl. – das Gehalt des klagenden Mitarbeiters unter dem Median der Vergleichsgruppe liege, für sich genommen nicht ausreichend, um eine Beweiserleichterung auszulösen, entspricht dies nicht den Vorgaben von Art. 157 AEUV, § 3 I und § 7 EntgTranspG.

34a) Die Kl. hat im Zeitraum von August 2018 bis Januar 2019 eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv § 3 II 1 EntgTranspG erfahren, denn die Bekl. hat ihr in diesem Zeitraum sowohl ein geringeres monatliches Grundentgelt als auch eine geringere monatliche übertarifliche Zulage gezahlt als den bei ihr beschäftigten, nach § 3 II 1 EntgTranspG maßgeblichen Vergleichspersonen. Dies folgt aus der von der Bekl. unter dem 22.8.2018 erteilten Auskunft, auf die die Kl. sich berufen hat und zur Begründung ihrer Klage auch berufen konnte. Nach dieser Auskunft sind die maßgeblichen Vergleichspersonen iSv § 3 II 1 EntgTranspG die männlichen Abteilungsleiter, die jeweils das von der Bekl. mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) beziehen. Von diesen hat der eine im Zeitraum von August 2018 bis Januar 2019 ein höheres monatliches Grundentgelt und der andere im selben Zeitraum eine höhere monatliche übertarifliche Zulage erhalten.

35aa) Nach § 3 II 1 EntgTranspG liegt – vgl. bereits Rn. 22 – eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung vor, wenn eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres Entgelt erhält, als eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts erhält, erhalten hat oder erhalten würde. Mit der Formulierung „erhalten würde“ hat der Gesetzgeber – ebenso wie mit der entsprechenden Formulierung in § 3 I AGG (vgl. dazu etwa BAG v. 27.8.2020 – 8 AZR 62/19, NZA-RR 2021, 167 Rn. 25; v. 19.12.2019 – 8 AZR 2/19BAGE 169, 217 = NZA 2020, 707 Rn. 28) – zum Ausdruck gebracht, dass die Vergleichsperson keine reale sein muss, sondern dass auch eine hypothetische bzw. fiktive Vergleichsperson ausreicht. Diese Bestimmung steht im Einklang mit Art. 2 I Buchst. a RL 2006/54/EG, wonach eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, eine unmittelbare Diskriminierung darstellt (vgl. auch EuGH v. 18.11.2020 – C-463/19, NZA 2021, 185 Rn. 49 – Syndicat CFTC).

36bb) Die Kl. übt die gleiche Tätigkeit aus wie die Mitarbeiter der maßgeblichen Vergleichsgruppe, nämlich die männlichen Abteilungsleiter in der V. (Direktion und alle Regionaldirektionen).

37Nach § 4 I EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleiche Arbeit aus, wenn sie an verschiedenen Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausführen. Nach § 4 II 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleichwertige Arbeit iSd EntgTranspG aus, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehören unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen, § 4 II 2 EntgTranspG. Es ist von den tatsächlichen, für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen auszugehen, die von den ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen unabhängig sind, § 4 II 3 EntgTranspG. Danach werden mit dem Begriff der „gleichwertigen Arbeit“ verschiedenartige Arbeiten unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren darauf hin verglichen, ob sie von gleichem Wert sind. Dies kann insbesondere mit den Methoden der Arbeitsbewertung erfolgen, soweit diese selbst diskriminierungsfrei sind. Soweit § 4 II EntgTranspG dabei auf eine Gesamtheit von Faktoren abstellt, zu denen unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen gehören, entspricht dies der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 157 AEUV und zu den Vorgaben der RL 2006/54/EG zum Entgeltgleichheitsgebot (vgl. etwa – teilweise zu den Vorgängerbestimmungen Art. 119 EG-Vertrag bzw. Art. 141 EG und RL 75/117/EWG – EuGH v. 28.2.2013 – C-427/11ECLI:EU:C:2013:122 = NZA 2013, 315 Rn. 2752 und Tenor – Kenny ua; v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 = BeckRS 9998, 155798 Rn. 4348, – Brunnhofer; v. 11.5.1999 – C-309/97, NZA 1999, 699 Rn. 17 – Angestelltenbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse).

38Darüber, dass die Kl. als Abteilungsleiterin die gleiche Tätigkeit ausübt wie die männlichen Abteilungsleiter in der V. (Direktion und alle Regionaldirektionen), besteht unter den Parteien kein Streit. Dies entspricht auch der von der Bekl. unter dem 22.8.2018 erteilten Auskunft.

39cc) Die Kl., die im streitgegenständlichen Zeitraum ein monatliches Grundgehalt iHv 5.385,40 Euro brutto und eine monatliche übertarifliche Zulage iHv 500 Euro brutto bezog, erhielt auch ein geringeres Entgelt als die nach § 3 II 1 EntgTranspG maßgebliche(n) Vergleichsperson(en). Ihr monatliches Grundentgelt und ihre monatliche übertarifliche Zulage waren geringer als das monatliche Grundentgelt und die monatliche übertarifliche Zulage der in der Auskunft der Bekl. vom 22.8.2018 aufgeführten männlichen Vergleichspersonen, von denen einer von der Bekl. als „Mediona-AL“ bezeichnet wurde und ein monatliches Grundgehalt iHv 6.292 Euro brutto erhielt und der andere (unter Umständen derselbe) eine monatliche übertarifliche Zulage iHv 600 Euro brutto bezog. In der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt durch einen Arbeitgeber liegt zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson(en), weil entweder ein konkreter oder ein hypothetischer bzw. fiktiver Beschäftigter des anderen Geschlechts das jeweilige Entgelt bzw. den jeweiligen Entgeltbestandteil für gleiche oder gleichwertige Tätigkeit erhält.

40(1) Nach § 10 I EntgTranspG haben Beschäftigte zur Überprüfung der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots iSd Gesetzes einen Auskunftsanspruch nach Maßgabe der §§ 11 – 16 EntgTranspG. Sie können Auskunft zu dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt nach § 5 I EntgTranspG und zu bis zu zwei einzelnen Entgeltbestandteilen verlangen. Nach § 11 I EntgTranspG erstreckt sich die Auskunftsverpflichtung auf die Angabe zu den Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung nach § 11 II EntgTranspG und auf die Angabe zum Vergleichsentgelt nach § 11 III EntgTranspG. Nach der Regelung in § 11 III 1 EntgTranspG erstreckt sich die Auskunftsverpflichtung in Bezug auf das Vergleichsentgelt auf die Angabe des Entgelts für die Vergleichstätigkeit (Vergleichsentgelt); das Vergleichsentgelt ist nach § 11 III 2 EntgTranspG anzugeben als auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter statistischer Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts sowie der benannten Entgeltbestandteile, jeweils bezogen auf ein Kalenderjahr, wobei dies nach den weiteren, in § 11 III 2 EntgTranspG bestimmten Vorgaben zu erfolgen hat.

41(2) Zwar ist der statistische Median iSv § 11 III 2 EntgTranspG zunächst nur ein Entgeltwert. Der Median – auch Zentralwert genannt – ist derjenige Entgeltwert, der in einer nach Größe geordneten Reihe von Entgeltwerten in der Mitte liegt (vgl. zur Berechnung der Mediane bzw. Median-Entgelte ua Das Entgelttransparenzgesetz: Ein Leitfaden für Arbeitgeber sowie für Betriebs- und Personalräte, Bundesministerium für Familie Senioren, Frauen und Jugend 2017, 49). Dabei ist bei einer ungeraden Anzahl Beschäftigter in der Vergleichsgruppe (hier: der männlichen Abteilungsleiter „in der V – Direktion und alle Regionaldirektionen –“) der in der Mitte liegende Entgeltwert (Bauer/Krieger/Günther, AGG/EntgTranspG, 5. Aufl., § 11 EntgTranspG Rn. 68 mwN) einer realen Vergleichsperson (hier: einem konkreten männlichen Abteilungsleiter) zugeordnet. Besteht die Vergleichsgruppe hingegen aus einer geraden Anzahl an Beschäftigten, ist der Median die Hälfte der Summe der beiden in der Mitte liegenden Entgeltwerte (Bauer/Krieger/Günther, AGG/EntgTranspG, 5. Aufl., § 11 EntgTranspG Rn. 68 mwN). Damit kann er zwar nicht einer realen Vergleichsperson (hier: einem konkreten männlichen Abteilungsleiter), jedoch einer hypothetischen bzw. fiktiven Vergleichsperson zugeordnet werden. Das reicht – wie unter Rn. 35 ausgeführt – nach den Vorgaben des § 3 II 1 EntgTranspG aus.

42(3) Dass in der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt nach § 11 III EntgTranspG zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson(en) iSd § 3 II 1 EntgTranspG liegt, folgt auch aus Sinn und Zweck der Bestimmungen über das Auskunftsverlangen nach §§ 10 ff. EntgTranspG in unionsrechtskonformer Auslegung.

43(a) Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem EntgTranspG, dessen Ziel es ist, unmittelbare und mittelbare Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts effektiv zu beseitigen und zu verhindern, die Empfehlung der EU-Kommission vom 7.3.2014 zur Stärkung des Grundsatzes gleichen Entgelts für Frauen und Männer durch Transparenz aufgegriffen (BT-Drs. 18/11133, 2). Dabei ist der individuelle Auskunftsanspruch der Beschäftigten nach § 10 EntgTranspG und damit korrespondierend die nach §§ 11 ff. EntgTranspG zu erteilende Auskunft ein mit dem EntgTranspG eingeführtes Instrument unter mehreren, mit denen die vom Gesetzgeber für erforderlich erachtete Transparenz von Entgelten und Entgeltregelungen herbeigeführt werden soll. Entsprechend dem Zweck des EntgTranspG sind der Auskunftsanspruch und die zu erteilende Auskunft teleologisch auf die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsanspruchs von Männern und Frauen ausgerichtet. Sie dienen ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/11133, 22) dem Zweck, die Durchsetzung des Anspruchs auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit zu erleichtern (vgl. BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613 Rn. 98).

44Die Einführung des Auskunftsverlangens nach §§ 10 ff. EntgTranspG war aus Sicht des Gesetzgebers geboten, da Beschäftigte kaum Zugang zu Informationen haben, die einen eventuellen Verstoß des Arbeitgebers gegen das Entgeltgleichheitsgebot belegen oder widerlegen können. Die Beschäftigten haben in der Regel keine Kenntnis über das Arbeitsentgelt der Beschäftigten des anderen Geschlechts. Der individuelle Auskunftsanspruch soll insoweit eine Unterstützung bieten, um dieses Informationsdefizit der Beschäftigten abzubauen (BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, NZA 2020, 1613 Rn. 98; BT-Drs. 18/11133, 22). Dabei sollen die Informationen allerdings nicht nur dazu beitragen, Hinweise auf potenzielle Benachteiligungen in der Entgeltstruktur zu erhalten, sie sind nach Auffassung des Gesetzgebers auch deshalb grundsätzlich notwendig, um eine potenzielle Klage auf gleiches Entgelt abzuwägen und gegebenenfalls erfolgreich begründen zu können, wie es an anderer Stelle der Gesetzesbegründung heißt (BT-Drs. 18/11133, 57). Davon, dass die Beschäftigten durch die in einem Auskunftserteilungsverfahren erlangten Informationen in die Lage versetzt werden sollen, ihrer Darlegungs- und Beweislast im Rahmen einer Entgeltgleichheitsklage nachkommen zu können, geht das Gesetz im Übrigen auch an anderer Stelle, nämlich in § 8 II EntgTranspG aus, wenn es dort bestimmt, dass die Nutzung der in einem Auskunftsverlangen erlangten Informationen auf die Geltendmachung von Rechten iSd Gesetzes beschränkt ist.

45(b) Damit hat der Gesetzgeber die beiden Anforderungen des Unionsrechts, wonach einerseits der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin mit allen rechtlich vorgesehenen Mitteln zu beweisen hat, dass der Arbeitgeber ihm/ihr bei gleicher/gleichwertiger Arbeit ein niedrigeres Entgelt zahlt als den zum Vergleich herangezogenen Kollegen (vgl. hierzu Ausführungen unter Rn. 28) und andererseits die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts vor den nationalen Gerichten durchsetzbar sein muss (vgl. hierzu Ausführungen unter Rn. 30), zum Ausgleich gebracht. Er hat berücksichtigt, dass die darlegungspflichtige klagende Partei typischerweise außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während der Arbeitgeber über diese Kenntnis verfügt und unschwer Auskunft erteilen kann.

46dd) Die im EntgTranspG enthaltenen Beschränkungen der Datennutzung stehen einer prozessualen Nutzung der mit dem Auskunftsverlangen erlangten Informationen in einem gerichtlichen Verfahren auf Entgeltgleichheit nicht entgegen.

47Soweit es in § 8 II 2 EntgTranspG heißt, dass die Veröffentlichung personenbezogener Gehaltsangaben und die Weitergabe an Dritte von dem Nutzungsrecht nach § 8 II 1 EntgTranspG (vgl. hierzu Ausführungen unter Rn. 44) nicht umfasst sind, betrifft dies gerade nicht die Offenlegung der erforderlichen Daten in einem gerichtlichen Verfahren um Entgeltgleichheit. Auch aus der in § 12 III EntgTranspG getroffenen Regelung, die Vorgaben zum Schutz personenbezogener Daten bei der Beantwortung eines Auskunftsverlangens enthält, folgt nichts Abweichendes.

48ee) Die Kl. konnte sich auch auf die Auskunft der Bekl. vom 22.8.2018 berufen. Entgegen deren Rechtsauffassung war nicht deren Auskunft vom 24.7.2018 maßgeblich, wonach der „Median der männlichen Abteilungsleiter in der V, die seit 2012 eine Führungsaufgabe übernommen haben“, 5.559 Euro brutto betrug und sich der „Median der übertariflichen Zulage bei männlichen Beschäftigten“ dieser Vergleichsgruppe auf 550 Euro brutto belief.

49Abgesehen davon, dass die Bekl. der Kl. unter dem 22.8.2018 eine neue Auskunft erteilt hat, weshalb kein Anlass besteht, auf eine nicht mehr aktuelle Fassung abzustellen, entspricht die erste Auskunft vom 24.7.2018 im Hinblick auf die nach § 11 EntgTranspG erforderliche Angabe der Vergleichstätigkeit nicht den gesetzlichen Vorgaben. Die von der Bekl. unter dem 24.7.2018 erteilte Auskunft enthält mit der Angabe des Medians der männlichen Abteilungsleiter in der V, „die seit 2012 eine Führungsaufgabe übernommen haben“, eine Einschränkung, die mit den Vorgaben des § 4 I und II EntgTranspG nicht vereinbar ist. Nach dieser Bestimmung kommt es für die Feststellung von gleicher oder gleichwertiger Arbeit allein auf die tatsächlichen Anforderungen der Tätigkeit an. Diese sind unabhängig von den die Tätigkeit ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen (vgl. zur anforderungsabhängigen Grundentgeltfindung ua Oechsler/Paul, Personal und Arbeit – Einführung in das Personalmanagement, 11. Auf. 2019, 378), wie es in § 4 II 3 EntgTranspG für die Feststellung von gleichwertiger Arbeit ausdrücklich heißt und wie es für die Feststellung von gleicher Arbeit nach § 4 I EntgTranspG als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Zwar kann bei bestimmten Tätigkeiten eine zuvor erworbene Erfahrung eine „Anforderung der Tätigkeit“ sein. Um eine solche, der Tätigkeit selbst innewohnende Anforderung geht es im vorliegenden Verfahren jedoch nicht. Die Dauer der Wahrnehmung einer Führungsaufgabe ist bei der Bekl. nach ihrem eigenen Vorbringen vielmehr ausschließlich ein Kriterium für eine Differenzierung beim Entgelt.

50b) Entgegen der Annahme des LAG begründet der Umstand, dass die Bekl. der Kl. ein geringeres monatliches Grundentgelt und eine geringere monatliche übertarifliche Zulage gezahlt hat als den maßgeblichen männlichen Vergleichspersonen, die – von der Bekl. widerlegbare – Vermutung iSv § 22 AGG, dass die Kl. die unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv § 3 II 1 EntgTranspG „wegen des Geschlechts“ erfahren hat. Aus der von der Bekl. unter dem 22.8.2018 erteilten Auskunft ergibt sich demnach nicht nur, dass die Kl. gegenüber den maßgeblichen männlichen Vergleichspersonen im Hinblick auf ihr Entgelt unmittelbar benachteiligt wurde iSv § 3 II 1 EntgTranspG, die Auskunft der Bekl. vom 22.8.2018 begründet zugleich die – von der Bekl. widerlegbare – Vermutung, dass das Geschlecht der Kl. (mit-)ursächlich für die unmittelbare Benachteiligung war (dazu, dass die bloße Mitursächlichkeit genügt: BAG in stRspr, vgl. etwa v. 26.6.2020 – 8 AZR 75/19, NZA 2020, 1626 Rn. 24; v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18BAGE 169, 302 = NZA 2020, 851 Rn. 33; v. 16.5.2019 – 8 AZR 315/18BAGE 167, 1 = NZA 2019, 1419 Rn. 18).

51aa) Der/die Beschäftigte muss nach den unionsrechtlichen Vorgaben – wie unter Rn. 28, 45 ausgeführt – zur Begründung der Kausalitätsvermutung iSv § 22 AGG nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass sein/ihr Arbeitgeber ihm/ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als seinen/ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts und dass er/sie die gleiche oder eine gleichwertige, mit deren Arbeit vergleichbare Arbeit verrichtet. Ist dem/der Beschäftigten dies gelungen, reicht dies – auch unter Berücksichtigung des Gebots der „praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts“ (vgl. hierzu Ausführungen unter Rn. 30) – aus, um die Vermutung iSv § 22 AGG zu begründen, dass die Entgeltungleichbehandlung „wegen des Geschlechts“ erfolgt(e) und eine Umkehr der Beweislast herbeizuführen. Nach den unionsrechtlichen Vorgaben ist er/sie nämlich bereits dann dem ersten Anschein nach Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung.

52bb) Dass bereits der Umstand, dass der Arbeitgeber an eine/n Beschäftigte/n ein geringeres Entgelt zahlt als an die insoweit maßgebliche(n) Vergleichsperson(en) des anderen Geschlechts, ausreicht, um die Vermutung einer unmittelbaren Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ iSv § 22 AGG zu begründen, wird auch durch die in § 15 V EntgTranspG getroffene Bestimmung zum Ausdruck gebracht, die für den Sonderfall, dass der Arbeitgeber die Erfüllung seiner Auskunftspflicht unterlässt, eine gegenüber der Beweislastregel des § 22 AGG modifizierte Beweislastregel enthält.

53(1) Unterlässt der Arbeitgeber die Erfüllung seiner Auskunftspflicht, trägt er nach § 15 V 1 EntgTranspG im Streitfall die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot iSd EntgTranspG vorliegt. Dies gilt nach § 15 V 2 EntgTranspG auch, wenn der Betriebsrat aus Gründen, die der Arbeitgeber zu vertreten hat, die Auskunft nicht erteilen konnte. Dabei ist der Begriff „Beweislast“ – auch vor dem Hintergrund des entsprechenden Verständnisses im Unionsrecht (vgl. auch EuArbRK/Mohr, 3. Aufl., RL 2006/54/EG Art. 19 Rn. 2) – als Darlegungs- und Beweislast zu verstehen.

54(2) Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/11133, 66) orientiert sich § 15 V EntgTranspG an § 22 AGG. Liegt die tatbestandliche Voraussetzung des § 15 V 1 EntgTranspG vor, dh äußert sich der Arbeitgeber gar nicht zu einem der erfragten Entgeltbestandteile im Auskunftsverlangen, tritt hierdurch im Fall einer Entgeltgleichheitsklage eine Beweislastverlagerung zulasten des Arbeitgebers ein. Ein solches Verhalten ruft nämlich Zweifel an der Rechtstreue des Arbeitgebers in Bezug auf die Entgeltgleichheit hervor und wird deshalb als Indiz für eine Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts gewertet. Allerdings bleibt es dem Arbeitgeber unbenommen, „im Streitfall die streitige Entgeltregelung durch objektive Faktoren zu rechtfertigen, die nichts mit einer Diskriminierung wegen des Geschlechts zu tun haben“ (BT-Drs. 18/11133, 66), was allerdings nichts anderes bedeutet, als dass er die Vermutung der Entgeltbe-nachteiligung wegen des Geschlechts widerlegen kann. Dies folgt bereits aus der in § 15 V 1 EntgTranspG ausdrücklich getroffenen Bestimmung, wonach den Arbeitgeber im Streitfall die Beweislast dafür trifft, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot iSd EntgTranspG vorliegt. Zudem können unmittelbare Entgeltdiskriminierungen wegen des Geschlechts nicht „gerechtfertigt“ werden. Eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts und dadurch bewirkte Diskriminierung kann grundsätzlich sachlich nicht gerechtfertigt werden (vgl. zur stRspr EuGH v. 7.2.2018 – C-142/17 und C-143/17ECLI:EU:C:2018:68 = NZA 2018, 291 Rn. 38 f. – Maturi ua; v. 12.9.2013 – C-614/11ECLI:EU:C:2013:544 = NZA 2013, 1071 Rn. 50 ff. – Kuso – zur Vorgänger-RL 76/207/EWG; v. 18.11.2010 – C-356/09ECLI:EU:C:2010:703 = NZA 2010, 1401 Rn. 41 ff. – Kleist – zur Vorgänger-RL 76/207/EWG; EuArbRK/Mohr, 3. Aufl., RL 2006/54/EG Art. 2 Rn. 6). Ausnahmen hiervon sind nur in dem in bestimmten Rechtsvorschriften festgelegten Fällen unter den dort konkret beschriebenen Voraussetzungen möglich (vgl. etwa EuGH v. 6.3.2014 – C-595/12ECLI:EU:C:2014:128 = NZA 2014, 715 Rn. 41 mwN – Napoli; vgl. auch BAG v. 19.12.2019 – 8 AZR 2/19BAGE 169, 217 = NZA 2020, 707 Rn. 36 mwN). Für unmittelbare Entgeltdiskriminierungen wegen des Geschlechts ist eine solche Ausnahme nicht vorgesehen, dementsprechend räumt das EntgTranspG dafür keine Rechtfertigungsmöglichkeit ein.

55(3) § 15 V 1 EntgTranspG unterscheidet sich von der in § 22 AGG getroffenen Regelung nur insoweit, als die sich diskriminiert glaubende klagende Partei – anders als nach § 22 AGG erforderlich – im Rahmen einer Entgeltgleichheitsklage nicht darlegen und im Bestreitensfall beweisen muss, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige, mit deren Arbeit vergleichbare Arbeit verrichtet, sondern dass sie – um ihrer Darlegungs- und Beweislast nachzukommen – nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen muss, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 V EntgTranspG erfüllt sind, dh dass ihr Arbeitgeber die Erfüllung seiner Auskunftspflicht unterlassen hat. So, wie nach § 22 AGG der Umstand, dass der Arbeitgeber an die klagende Partei ein geringeres Entgelt zahlt als der/n maßgeblichen Vergleichsperson(en) des anderen Geschlechts ausreicht, um die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts zu begründen, reicht im Fall des § 15 V EntgTranspG die Nichterfüllung der Auskunftspflicht zur Begründung der entsprechenden Kausalitätsvermutung aus. Durch die in § 15 V EntgTranspG getroffene Bestimmung hat der Gesetzgeber demnach nochmals die besondere Bedeutung einer erteilten Auskunft für die Beschäftigten betont. Diese sollen – wie unter Rn. 44 ausgeführt – durch die in einem Auskunftserteilungsverfahren erlangten Informationen in die Lage versetzt werden, ihrer Darlegungs- und Beweislast im Rahmen einer Entgeltgleichheitsklage nachkommen zu können.

56cc) Soweit das LAG unter Hinweis auf Stimmen im juristischen Schrifttum angenommen hat, die Angaben zum Median-Entgelt in einer Auskunft nach §§ 11 ff. EntgTranspG seien nicht aussagekräftig, weshalb eine Auskunft, der zufolge das Gehalt des klagenden Mitarbeiters unter dem Median der Vergleichsgruppe liege, für sich genommen nicht ausreichend sei, um im Fall einer Entgeltgleichheitsklage eine Beweislastumkehr iSv § 22 AGG auszulösen, hält dies einer revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht stand.

57(1) Das LAG hat zur Begründung seiner Annahme ausgeführt, eine Auskunft nach §§ 11 ff. EntgTranspG enthalte keine Information über die Durchschnittswerte des Entgelts des eigenen oder des anderen Geschlechts. Ihr komme auch im Fall einer bedeutsamen Vergütungsdifferenz kein erhebliches Gewicht zu. Dies führe nicht zu einer Missachtung des gesetzgeberischen Ziels des Entgelttransparenzgesetzes, den Grundsatz der Entgeltgleichhalt zu fördern. Allerdings erscheine das Gesetz, soweit es eine Vermutungswirkung an das vom Arbeitgeber mitgeteilte höhere Median-Entgelt knüpfe, missglückt. Nehme man beispielsweise an, dass sieben Frauen in der Vergleichsgruppe jeweils dasselbe verdienten wie ihre sieben männlichen Kollegen, beispielsweise jeweils zwischen 1.600 Euro und 2.500 Euro und sei der Median identisch, beispielsweise betrage er 1.900 Euro, erhielte die in der Vergleichsgruppe mit 1.600 Euro am wenigsten verdienende weibliche Beschäftigte folgerichtig die Auskunft, dass der männliche Median 1.900 Euro betrage. Hier ein Indiz für eine Entgeltdiskriminierung anzunehmen, sei deswegen verfehlt, weil eine solche Beschäftigte sich zufällig am unteren Rand des Vergütungsniveaus befinde.

58(2) Die Annahme des LAG, eine Auskunft des Arbeitgebers, der zufolge das Gehalt des/r klagenden Beschäftigten unter dem Median der Vergleichsgruppe liege, sei für sich genommen nicht ausreichend, um im Fall einer Entgeltgleichheitsklage eine Beweislastumkehr iSv § 22 AGG auszulösen, wird den Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 157 AEUV (vgl. Rn. 18, 27 ff.) und damit auch zu § 3 I und § 7 EntgTranspG nicht gerecht. Zugleich hat das LAG die innere Systematik des § 22 AGG verkannt. Nach dieser Bestimmung kommt es für den Eintritt der Vermutungswirkung nicht darauf an, ob eine Auskunft nach §§ 11 ff. EntgTranspG Entgeltdiskriminierung tatsächlich zuverlässig anzeigen kann. Eine solche Anforderung würde entgegen § 22 AGG (in unionsrechtskonformer Auslegung) von der klagenden Partei mehr verlangen als nur die auf die erteilte Auskunft gestützte Darlegung, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als der/n von diesem mitgeteilten maßgeblichen Vergleichsperson(en) des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige, mit deren Arbeit vergleichbare Arbeit verrichtet. Nach § 22 AGG bleibt eine etwaige Auseinandersetzung mit der Aussagekraft einer erteilten Auskunft für eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts vielmehr dem Arbeitgeber im Rahmen seiner Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG überlassen, indem er darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Nur der Arbeitgeber, der die Auskunft nach §§ 11 ff. EntgTranspG erteilt hat, verfügt über die für diese Auseinandersetzung erforderlichen Kenntnisse und Daten, die klagende Partei hingegen typischerweise nicht. Das entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der sich ausdrücklich für das Median-Entgelt als insoweit maßgebliches Kriterium entschieden hat. Eine andere Sichtweise würde im Übrigen dem unionsrechtlichen Gebot der „praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts“ zuwiderlaufen (vgl. Ausführungen unter Rn. 30, 51) und den Zweck des EntgTranspG, die Durchsetzung des Anspruchs auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit zu erleichtern (vgl. Rn. 43), verfehlen.

  1. Aufgrund der bislang vom LAGgetroffenen Feststellungen konnte der Senatallerdings nicht abschließend entscheiden, ob die Klage begründet ist, was für den Anspruch dem Grunde nach nur noch davon abhängt, ob die Bekl., die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, die Vermutung, dass die Kl. die unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv § 3 II 1 EntgTranspG aufgrund des Geschlechts erfahren hat, den Vorgaben von § 22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend widerlegt hat. Zugleich ist den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Dies führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das LAG auf die Berufung der Bekl. den Klageantrag zu 1 abgewiesen hat (§ 562 I ZPO), und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG (§ 563 I 1 ZPO).
  2. Für das fortgesetzte Berufungsverfahren hält der Senatdie folgenden Hinweise für geboten:

61a) Besteht – wie hier – die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts, trägt die andere Partei – hier: die Bekl. – nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (vgl. Rn. 24, 31). Hierfür gilt das Beweismaß des so genannten Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot unabhängig vom Geschlecht vorliegt, sondern dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. Rn. 31).

62aa) Danach hat der Arbeitgeber zur Widerlegung der Vermutung vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die festgestellte unterschiedliche Vergütung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, zu erklären ist und dass die Ungleichbehandlung auch tatsächlich ausschließlich auf anderen Gründen als dem unterschiedlichen Geschlecht der Arbeitnehmer, also auf einem geschlechtsunabhängigen Unterschied beruht (vgl. etwa EuGH v. 28.2.2013 – C-427/11ECLI:EU:C:2013:122 = NZA 2013, 315 Rn. 2039 – Kenny ua; v. 3.10.2006 – C-17/05ECLI:EU:C:2006:633 = NZA 2006, 1205 Rn. 31 – Cadman; v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 = BeckRS 9998, 155798 Rn. 61 f. – Brunnhofer; v. 17.6.1998 – C-243/95ECLI:EU:C:1998:298 = BeckRS 2004, 75386 Rn. 43 – Hill und Stapleton; v. 27.6.1990 – C-33/89ECLI:EU:C:1990:265 = NZA 1990, 771 Rn. 13 u. 16– Kowalska; v. 17.10.1989 – 109/88ECLI:EU:C:1989:383 = NZA 1990, 772 Rn. 22 u. 23– Danfoss; idS auch EuGH v. 13.5.1986 – 170/84ECLI:EU:C:1986:204 = NZA 1986, 599 Rn. 29 ff., 36 f. – Bilka). Die vorgebrachte Erklärung muss auf einem legitimen Ziel beruhen. Die zu dessen Erreichung gewählten Mittel müssen hierzu geeignet und erforderlich sein (vgl. etwa EuGH v. 3.10.2006 – C-17/05ECLI:EU:C:2006:633 = NZA 2006, 1205 Rn. 32 – Cadman). Auf Kriterien und Faktoren, die im Ergebnis Frauen stärker nachteilig betreffen als Männer, kann eine Entgeltdifferenzierung nur gestützt werden, wenn sie der Art der Arbeit geschuldet sind und zu den (legitimen) Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens in Beziehung stehen (vgl. EuGH v. 27.10.1993 – C-127/92ECLI:EU:C:1993:859 = NZA 1994, 797 Rn. 25 – Enderby).

63bb) Bloße allgemeine Behauptungen des Arbeitgebers genügen zur Widerlegung der Vermutung nicht (vgl. etwa EuGH v. 20.3.2003 – C-187/00ECLI:EU:C:2003:168 = NZA 2003, 506 Rn. 58 – Kutz-Bauer; v. 17.6.1998 – C-243/95ECLI:EU:C:1998:298 = BeckRS 2004, 75386 Rn. 38 – Hill und Stapleton), der Arbeitgeber muss vielmehr einen Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ermöglicht. Gelingt ihm dies nicht, so geht dies zu seinen Lasten.

64Das Gebot der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts – hier das Erfordernis der praktischen Wirksamkeit von Art. 157 AEUV sowie der Vorgaben der RL 2006/54/EG – fordert eine wirksame Kontrolle der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. etwa EuGH v. 27.5.2004 – C-285/02, NZA 2004, 783 Rn. 15 – Elsner-Lakeberg; v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 = BeckRS 9998, 155798 Rn. 35 – Brunnhofer; v. 6.4.2000 – C-226/98ECLI:EU:C:2000:191 = BeckRS 2004, 75230 Rn. 2731 – Jørgensen; v. 30.3.2000 – C-236/98ECLI:EU:C:2000:173 = BeckRS 2004, 75322 Rn. 43 – JämO; v. 17.5.1990 – C-262/88, NZA 1990, 775 Rn. 3134 – Barber) und die Nachprüfung seitens der nationalen Gerichte (EuGH v. 17.10.1989 – 109/88ECLI:EU:C:1989:383 = NZA 1990, 772 Rn. 12 – Danfoss – unter Hinweis auf EuGH v. 30.6.1988 – C-318/86ECLI:EU:C:1988:352 = BeckRS 2004, 70756 Rn. 27 – Kommission/Frankreich). Eine solche wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ist nur bei Gewährleistung echter Transparenz möglich (vgl. etwa EuGH v. 27.5.2004 – C-285/02ECLI:EU:C:2006:618 = NZA 2004, 783 – Elsner-Lakeberg; v. 26.6.2001 – C-381/99ECLI:EU:C:2001:358 = BeckRS 2004, 76901 = BeckRS 9998, 155798 – Brunnhofer; v. 6.4.2000 – C-226/98ECLI:EU:C:2000:191 = BeckRS 2004, 75230 – Jørgensen; v. 30.3.2000 – C-236/98ECLI:EU:C:2000:173 = BeckRS 2004, 75322 – JämO; v. 17.5.1990 – C-262/88ECLI:EU:C:2010:795 = NZA 1990, 775 – Barber). Eine mangelnde Durchschaubarkeit – hier des Entgelts – macht jede Nachprüfung seitens der nationalen Gerichte und auch seitens der durch diskriminierende Maßnahmen beschwerten Personen unmöglich (EuGH v. 17.10.1989 – 109/88, ECLI:EU:C:1989:383 = NZA 1990, 772 Rn. 12 – Danfoss, unter Hinweis auf EuGH v. 30.6.1988 – 318/86ECLI:EU:C:1988:352 = BeckRS 2004, 70756 Rn. 27 – Kommission/Frankreich).

65b) Im Hinblick auf die grundlegenden Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Entgeltdifferenzierung sind aus Sicht des Senats zudem die folgenden weiterführenden Hinweise veranlasst:

66aa) Verwendet der Arbeitgeber ein Entgeltsystem, müssen nach § 4 IV EntgTranspG und Art. 4 S. 2 RL 2006/54/EG dieses Entgeltsystem als Ganzes und auch die einzelnen Entgeltbestandteile so ausgestaltet sein, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist. Als Entgeltsystem gelten ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/11133, 52) alle Systeme, die in irgendeiner Form das Entgelt der Beschäftigten bei einem Arbeitgeber bestimmen oder beeinflussen. Dazu zählen ua alle betrieblichen oder kollektivrechtlichen Bewertungs-, Einstufungs- oder sonstigen Entgeltsysteme sowie die Entgeltsysteme, die auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Demnach ist unter dem Begriff „Entgeltsystem“ jede regelbasierte Entgeltgestaltung zu verstehen. Gegenüber diesem umfassenden Verständnis des Begriffs „Entgeltsystem“ ergeben sich keine unionsrechtlichen Bedenken.

67Damit eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist, muss das Entgeltsystem nach § 4 IV EntgTranspG die Art der zu verrichtenden Tätigkeit objektiv berücksichtigen (vgl. auch EuGH v. 1.7.1986 – 237/85ECLI:EU:C:1986:277 = BeckRS 2004, 72523 = BeckRS 9998, 99114 Rn. 131523 – Rummler; vgl. näher auch BT-Drs. 18/11133, 53) und auf für weibliche und männliche Beschäftigte gemeinsamen Kriterien beruhen (vgl. auch Art. 4 S. 2 RL 2006/54/EG; vgl. näher auch BT-Drs. 18/11133, 53). Die einzelnen Differenzierungskriterien müssen diskriminierungsfrei gewichtet (vgl. näher auch BT-Drs. 18/11133, 53) sowie insgesamt durchschaubar sein (EuGH v. 17.10.1989 – 109/88ECLI:EU:C:1989:383 = NZA 1990, 772 Rn. 12 f., 15– Danfoss; vgl. näher auch BT-Drs. 18/11133, 53). Die gleiche Arbeit oder eine Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, muss in der gleichen Weise unabhängig davon entgolten werden, ob sie von einem Mann oder von einer Frau verrichtet wird (EuGH v. 1.7.1986 – 237/85ECLI:EU:C:1986:277 = BeckRS 2004, 72523 = BeckRS 9998, 99114 Rn. 13 – Rummler).

68bb) Erforderlich ist zudem eine konsequent geschlechtsneutrale Auslegung und Anwendung der Kriterien der Entgeltdifferenzierung. Denn nach Art. 4 S. 1 RL 2006/54/EG soll bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, mittelbare und unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und -bedingungen beseitigt werden. Damit geht es nicht nur darum, geschlechtsneutrale Kriterien aufzustellen; die Kriterien müssen in der betrieblichen Praxis auch geschlechtsneutral ausgelegt und auf alle männlichen wie weiblichen Beschäftigten, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten und deshalb zur maßgeblichen Vergleichsgruppe gehören (hier der Abteilungsleiter in der V. – Direktion und alle Regionaldirektionen), geschlechtsneutral angewendet werden. Auch dies ist vom Arbeitgeber substanziiert darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen.

69cc) Ein objektives Kriterium, das nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat, kann im Einzelfall die Anciennität bzw. das Dienstalter sein, mit dem die Dauer der Berufserfahrung honoriert wird.

70(1) Es ist ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik, die Berufserfahrung zu honorieren, die den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten (ua EuGH v. 3.10.2006 – C-17/05ECLI:EU:C:2006:633 = NZA 2006, 1205 Rn. 34 – Cadman; v. 17.10.1989 – 109/88ECLI:EU:C:1989:383 = NZA 1990, 772 Rn. 24 – Danfoss).

71(2) In der Regel ist der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters auch geeignet, um dieses Ziel zu erreichen. Das Dienstalter geht nämlich mit der Berufserfahrung einher und diese befähigt den Arbeitnehmer im Allgemeinen, seine Arbeit besser zu verrichten (vgl. etwa EuGH v. 8.9.2011 – C-297/10 und C-298/10ECLI:EU:C:2011:560 = NZA 2011, 1100 Rn. 74 – Hennigs und Mai; v. 3.10.2006 – C-17/05ECLI:EU:C:2006:633 = NZA 2006, 1205 Rn. 34 – Cadman). Daher steht es dem Arbeitgeber grundsätzlich frei, das Dienstalter bei der Vergütung zu berücksichtigen, ohne dass er dessen Bedeutung für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben darlegen muss (EuGH v. 3.10.2006 – C-17/05ECLI:EU:C:2006:633 = NZA 2006, 1205 Rn. 34 ff. – Cadman; v. 17.10.1989 – 109/88ECLI:EU:C:1989:383 = NZA 1990, 772 Rn. 24 – Danfoss).

72(3) Allerdings kann es Situationen geben, in denen der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters vom Arbeitgeber im Einzelnen erklärt und insofern sachlich gerechtfertigt werden muss. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer Anhaltspunkte liefert, die geeignet sind, ernstliche Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass im betroffenen Fall der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters zur Erreichung des genannten Ziels geeignet ist. So kann gegebenenfalls – je nach Tätigkeit unterschiedlich – ab einer bestimmten Schwelle „ein Mehr“ an Berufserfahrung womöglich keine (weitere) Steigerung der Qualität der Arbeit mehr bewirken. Soweit der Arbeitnehmer insofern Anhaltspunkte für ernstliche Zweifel liefert, ist es Sache des Arbeitgebers, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass das, was in der Regel gilt, nämlich dass das Dienstalter mit der Berufserfahrung einhergeht und dass diese den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten, auch in Bezug auf den fraglichen Arbeitsplatz zutrifft (EuGH v. 3.10.2006 – C-17/05ECLI:EU:C:2006:633 = NZA 2006, 1205 Rn. 37 ff. – Cadman). Denn der objektive Charakter eines solchen Kriteriums hängt von allen Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, welche Beziehung zwischen der Art der ausgeübten Tätigkeit und der Erfahrung besteht, die durch die Ausübung dieser Tätigkeit nach einer bestimmten Dauer erworben worden ist (vgl. EuGH v. 10.3.2005 – C-196/02ECLI:EU:C:2005:141 = NZA 2005, 807 Rn. 5561 – Nikoloudi; v. 2.10.1997 – C-1/95ECLI:EU:C:1997:452 = NVwZ 1998, 721 Rn. 39 – Gerster; v. 7.2.1991 – C-184/89ECLI:EU:C:1991:50 = NVwZ 1991, 461 Rn. 14 = NZA 1991, 513 Ls. – Nimz; vgl. idS auch EuGH v. 27.10.1993 – C-127/92ECLI:EU:C:1993:859 = NZA 1994, 797 Rn. 25 – Enderby).

73(4) Von einer solchen Honorierung der Berufserfahrung zu unterscheiden ist eine Bemessung des Arbeitsentgelts nach dem Lebensalter, die allerdings nicht den Vorgaben des AGG und denen des Unionsrechts entspricht, wie sie mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind und durch die RL 2000/78/EG (insbes. deren Art. 2 und 6 I) konkretisiert wurden (vgl. etwa EuGH v. 8.9.2011 – C-297/10 und C-298/10ECLI:EU:C:2011:560 = NZA 2011, 1100 Rn. 78 – Hennigs und Mai; BAG v. 10.11.2011 – 6 AZR 148/09BAGE 140, 1 = NZA 2012, 161 Rn. 13).

74c) Sollte das BerGer. im fortgesetzten Berufungsverfahren zu der Überzeugung gelangen, die Bekl. habe die Vermutung, die Kl. habe die unmittelbare Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfahren, nicht widerlegt, wird es zu beachten haben, dass eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv § 3 II EntgTranspG wegen des Geschlechts und dadurch bewirkte Diskriminierung – wie unter Rn. 54 ausgeführt – nicht sachlich gerechtfertigt werden kann und wird es dem auf Zahlung gerichteten Klageantrag zu 1 stattzugeben haben.

75Insoweit gibt das Vorbringen der Kl. Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass es sich bei einer auf Art. 157 AEUV, § 3 I bzw. § 7 EntgTranspG gestützten Klage auf Zahlung eines höheren monatlichen Arbeitsentgelts – entgegen der Auffassung der Kl. – nicht um einen Schadensersatzanspruch iSv § 15 AGG (vgl. ähnlich bereits BAG v. 22.10.2015 – 8 AZR 168/14, NZA 2016, 1081 Rn. 18 ff., 64 f. zu auf § 4 I TzBfG gestützten Ansprüchen auf „Anpassung nach oben“) handelt, sondern um einen Anspruch auf Zahlung gleichheitswidrig vorenthaltener Vergütung. Wird eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt und sind bislang keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung getroffen worden, können die Gerichte die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nur dadurch gewährleisten, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie die, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zugutekommen, wobei diese Regelung, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt (vgl. etwa EuGH v. 7.10.2019 – C-171/18ECLI:EU:C:2019:839 = NZA 2020, 33 Rn. 1740, jew. mwN – Safeway; v. 28.1.2015 – C-417/13ECLI:EU:C:2015:38 = NZA 2015, 217 Rn. 46 – Starjakob; v. 19.6.2014 – C-501/12 bis C-506/12ECLI:EU:C:2014:2005 = NZA 2014, 831 Rn. 95 – Specht ua; v. 22.6.2011 – C-399/09ECLI:EU:C:2011:415 = BeckRS 2011, 81023 Rn. 51 mwN – Landtová; v. 21.6.2007 – C-231/06 bis C-233/06ECLI:EU:C:2007:373 = EuZW 2007, 643 = NJW 2007, 3625 Rn. 39 mwN – Jonkman ua; v. 28.9.1994 – C-408/92ECLI:EU:C:1994:349 = NZA 1994, 1126 Rn. 15 f. – Avdel Systems; v. 7.2.1991 – C-184/89ECLI:EU:C:1991:50 = NVwZ 1991, 461 Rn. 18 ff. mwN = NZA 1991, 513 Ls. – Nimz; v. 8.4.1976 – 43/75ECLI:EU:C:1976:56 = NJW 1976, 2068 Rn. 15 – Defrenne II; BAG v. 22.10.2015 – 8 AZR 168/14, NZA 2016, 1081 Rn. 62 mwN). Für diese Rechtsfolge bedarf es keiner weiteren gesetzlichen Regelung; sie folgt bereits aus dem Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit (vgl. im Übrigen etwa BAG v. 22.10.2015 – 8 AZR 168/14, NZA 2016, 1081 Rn. 62; v. 10.12.1997 – 4 AZR 264/96BAGE 87, 272 = NZA 1998, 599 Rn. 32).